Wie DB Systel zu einer Netzwerkorganisation wurde – „Selbstführung ist wichtigste Führungskompetenz“

Doris Leinen

Doris Leinen, Corporate Culture Lead bei DB Systel GmbH, sprach mit der LeadershipGarage über den Weg vom klassischen Unternehmen zum adaptiven Netzwerk selbstorganisierter Teams.

Doris, was machst du genau bei DB Systel?

Die Rolle des Corporate Culture Lead ist so im Deutsche Bahn Konzern bisher einzigartig. Wir bei DB Systel sind Vorreiter für eine ganzheitliche Transformation, in der Rollen und Verantwortlichkeiten neu verteilt werden. Dabei geht es auch darum, das Business mehr mit der IT zu verknüpfen. DB Systel ist Digitalpartner der Deutschen Bahn. Unser Anspruch ist es, die variablen Bedarfe unserer Konzernpartner:innen und Endkund:innen wertorientiert, flexibel, schnell und effizient zu erfüllen. Der Ursprung meiner derzeitigen Rolle ist einer strategischen Initiative mit Fokus auf Mitarbeiter – Führung – Kultur. Mein Fokus ist der kulturelle Wandel zur Erfüllung des Unternehmenszwecks.

Wie viel Prozent deiner Arbeitszeit verbringst du derzeit im Büro, wie viel im Homeoffice oder remote?

Seit März 2020 arbeite ich 100 Prozent remote. Eigentlich dachte ich schon, am Jahreswechsel 2021 mit einem feierlichen Ritual die Türen wieder öffnen zu können. Nun ist es schon zum zweiten Mal nicht der Fall.

Es ist seit März 2020 kein Mensch im Büro?

Wir sind tatsächlich seit März 2020 mit allen 5500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern remote. Auch, weil es z.B. schwierig ist, ein durchgängiges Hygienekonzept an meinem Standort, ein Hochhaus in Frankfurt am Main, zu erfüllen. Es gibt wenige Aufgaben, die es notwendig machen aber das muss angemeldet werden und sind Ausnahmen. Wir waren von einem Tag auf den anderen remote und haben festgestellt, dass wir dafür sehr gut aufgestellt sind. Auch die Onboardings neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen wir seit April 2020 einmal im Monat remote durch, mit enorm positivem Feedback. Wir sind in der Pandemie weitergewachsen und es gibt tatsächlich viele Kolleginnen und Kollegen, die wir noch nie persönlich getroffen haben.

Dass Ihr remote gut aufgestellt seid, hat sicher auch mit Eurer speziellen Ausgangslage zu tun. Ihr habt im Jahr 2015 eine große Transformation begonnen. Was war der Auslöser?

Im Herbst 2014 wurde klar, dass sich unsere Arbeit durch die Digitalisierung erheblich verändern wird. Und, dass die Digitalisierung eine Schlüsselrolle spielen wird für den gesamten Konzern. Mit diesem Gedanken, dass sich für uns etwas grundlegend verändern muss, wurde der Grundstein für die ganzheitliche Transformation gelegt.

Wir sind dann 2015 mit einem großen Programm gestartet, das bis 2017 unter dem Namen „Code Zukunft“ lief und ganz neue Herangehensweisen an Veränderungen etabliert hat. Dieses zweijährige partizipative Strategieprogramm bildete den Auftakt für den ganzheitlichen Wandel im Unternehmen. Seitdem haben sich alle Rollen im Unternehmen verändert. Jede Entscheidung, die wir treffen, alles was wir tun und alles was wir loslassen dürfen, prüfen wir auch mit Blick auf unsere Organisationskultur. Dort, wo sonst hart gemessen wird, wollen wir durch Wahrnehmen, Spüren und hoffentlich gute Annahmen Entscheidungen treffen. Kultur ist wahrnehmbar und somit bewertbar.

Mit welchen drei Adjektiven würdest du die heutige Corporate Culture bei DB Systel beschreiben?

Ich glaube, es gibt nicht nur die eine Kultur. Auch bei der DB Systel gibt es unterschiedlich ausgeprägte Kulturen. Generell zutreffend sind sicher die Adjektive: neugierig, leidenschaftlich, verbunden. Wobei Letzteres jetzt schon mehr Aufmerksamkeit braucht, da zufällige Begegnungen durch die Remote-Arbeit nicht mehr selbstverständlich sind.

Wie wirkt die neue Kultur nach außen?

Unsere Werte und die neue Organisationsform sind auf dem Arbeitsmarkt bekannter geworden. Damit ziehen wir viele Menschen an.

Wir sehen, dass Kultur eine große Bedeutung hat und Orientierung bietet, wenn alles wie jetzt, nicht zuletzt durch die Pandemie, im Wandel und im Fluss ist. Unsere neue Organisationsform hat tatsächlich viele tolle Expertinnen und Experten zu uns gebracht.

Selbstorganisation, Freiheit und Eigenverantwortung

Was macht Eure Organisationsstruktur so interessant?

Wir haben Führung komplett aufgeteilt, es gibt nicht mehr die eine Führungskraft. Bei uns haben alle Verantwortung und damit Führungs- und Gestaltungsspielraum. Das ist wichtig für viele, die gerade jetzt nach Purpose und nach Selbstwirksamkeit suchen.

Welche Annahmen haben die Transformation möglich gemacht?

Viele Menschen wollen keine klassische Führungsrolle, aber sie wollen gestalten. Wir haben früher in klassischen Organisationsstrukturen gearbeitet und 2015 begonnen uns zu fragen, warum die Dinge so sind wie sie sind. Dabei war Führung ein Riesenthema. Ich habe nie verstanden, warum Gestalten nur aus einer Führungsposition heraus möglich sein sollte. Natürlich bringt eine klassische Führungsposition auch andere Vorzüge, aber es geht zunehmend um den Wunsch, Einfluss zu nehmen und wirksam zu sein.

Wir haben uns hypothesenbasiert auf den Weg gemacht und uns gefragt, ob es nicht besser wäre, von außen nach innen zu denken und nicht in traditionellen Organisationsformen. Zunächst haben wir uns angeschaut, was die Führungskräfte, zu diesem Zeitpunkt waren es 220, eigentlich tun und analysiert, welche Verantwortungen und Aufgaben bei diesen Führungskräften liegen – und bei niemandem sonst.

Die nächste Überlegung war, wohin wir welche Führungsarbeit geben würden, wenn wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so kraftvoll wie möglich ausstatten wollen. In diesem Zuge haben wir drei Rollen definiert, die sich heute in jedem Bereich wiederfinden. Erstens: Das Umsetzungsteam erbringt die operative Leistung, zweitens: der/die Agility Master:in etabliert agile Methoden, sorgt für die Entwicklung und Verbesserung der Zusammenarbeit und leistet Konfliktmanagement, drittens: der/die Product Owner:in hat die Verantwortung für die Produktentwicklung und das Stakeholder Management. Alle zusammen ergeben ein Team.

DB Systel GmbH/Doris Leinen

Team of Teams

Ihr habt also eine Organisationsstruktur aus Teams, und in jedem Team sind diese drei Rollen vertreten?

Vielleicht kann man unseren Wandel auch so beschreiben: Wir hatten eine Idee, die mit jedem Schritt konkreter wurde. Und begonnen haben wir bei den Teams. Daraus hat sich die Team of Teams-Struktur entwickelt. Ziel war es, idealerweise Teams mit Ende-zu-Ende-Verantwortung neu aufzustellen. Ein Team, das sind bei uns sieben plus/minus zwei Mitarbeitende sowie Product Owner:in und Agility Master:in. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass diese Ende-zu-Ende-Idee sich nicht in allen Teams umsetzen lässt. Die Teams sind gewachsen, splitten sich und es entstehen neue Teams. Menschen, die im Wertstrom nahe beieinander liegen, die für die gleichen Konzernpartner:innen arbeiten oder die eine Leistung ähnlicher Art erbringen, schließen sich zu einer Einheit zusammen und bilden ein Einheitenteam. Auch hier finden sich die drei Rollen: Umsetzungsteam, Agility Master:in, Product Owner:in. Für die Menschen ist das nicht einfach, nach dem Motto: Wann bin ich wer? Denn sie haben immer eine Doppelrolle.

Veränderung beginnt im Kopf

Wie sah der Weg konkret aus von der klassischen Organisationsstruktur hin zu einer Netzwerkorganisation, die auf Selbstorganisation basiert?

Veränderung beginnt im Kopf. So war die Transformation ein intrinsisch gestalteter Weg, der damit anfing, die Pyramide als Bild der klassischen Organisationsstruktur zu kippen. Wie es ausgehen würde und wie lange es dauern würde, wussten wir nicht. 2015 war nicht klar, dass am Ende eine Netzwerkorganisation stehen würde. Das hätten wir selber nicht verstanden, und es hätte uns alle wahrscheinlich überfordert.

Die Pyramide kippen –  das ist dann tatsächlich passiert. 2015 hätte ich das nicht für möglich gehalten.

Es wurde aber möglich, weil wir schrittweise vorgegangen sind. Die Schritte führten über Augenhöhe, Selbstorganisation und Agilität zur Transformation und letztlich hin zu einer Netzwerkorganisation, in der Selbstführung die wichtigste Führungskompetenz ist. Wir sind stolz auf das, was wir bei DB Systel begonnen und bisher erreicht haben. Und es geht weiter, denn Business und IT gehören viel näher zusammen.Der aktuelle Schritt ist überschrieben mit: Plattform und wertorientierte IT.

DB Systel GmbH/Doris Leinen

Was waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren?

Entscheidend für den Erfolg waren sicherlich zwei Faktoren: Akzeptanz und ein starkes Miteinander. Wir hatten bei der ganzen Transformation nicht viel externe Begleitung. Alle begleitende Rollen kamen aus der Organisation. Je mehr Menschen beteiligt sind, desto tragfähiger ist die Transformation. Es ist ein Unterschied, ob Führungskräfte Veränderung entscheiden oder ob diese von hunderten Mitarbeitenden gelebt wird. Eine Transformation braucht Miteinander und gemeinsames Ausprobieren. So sind wir auch im Hinblick auf Unternehmensführung und Unternehmenssteuerung zu gemeinsamen Lösungen gekommen. Es braucht den gleichen Blick auf Führung und Steuerung.

Startrampe für Hybrid Work

Ihr müsst ja jetzt wie alle anderen einen Weg finden für hybrides Arbeiten nach Corona. Verschafft euch die gelungene Transformation eine höhere Startrampe?

Die Verteilung von Verantwortung ist ein Fundament, auf das man aufbauen kann. Hybrid Work bedeutet zudem viel Selbstverantwortung, geht aber nicht alleine. Das heißt, wenn ich auf die Idee komme, öfters ins Büro zu gehen, bringt es mir nichts, wenn die anderen nicht da sind. Hybrid Work ist also mehr als nur Eigeninteresse. Für mich geht es auch um die Frage, wie es gelingt, dass Menschen sich im Büro so begegnen, dass daraus Innovation entsteht und die Kultur gefestigt wird.

Unsere Bilanz der Veränderung zeigt, dass die ganzheitliche Transformation ein gutes Investment ist. Oft bin ich gefragt worden, was es wirklich bringt. Doch jetzt auf dem Weg zu Hybrid Work können wir sagen, es hat sich absolut ausgezahlt. Interessanterweise ist die Machbarkeit bei Hybrid Work bei uns gar kein großes Thema, da wir mit der Transformation in der Tat wichtige Hürden bereits genommen haben und Remote Work bei uns schon seit fast zwei Jahren für viele Tätigkeiten gut funktioniert. Dank der Transformation waren technische Fragen vor der Pandemie geklärt und beispielsweise unsere Cloud-Strategie abgeschlossen. Uns beschäftigt eher die Frage, zu welchen Zwecken wir an unsere Standorte zurückkehren, für welche Entscheidungen wir zusammenkommen wollen. Manchmal gehen Dinge müheloser, wenn man in einem Raum zusammensitzt. Das stärkt auch die Beziehungen.

Unsere Organisationsstruktur Team of Teams macht es möglich, dass sich jedes Team überlegt, zu welchen Zwecken eine Rückkehr ins Büro sinnvoll ist. Das ist je nach Aufgabe ganz unterschiedlich. Das Business wird prägen, wie hybrides Arbeiten bei uns aussehen wird. Hybrid heißt ja, ein Teil der Menschen ist vor Ort, ein Teil ist woanders. Ziel ist es, gute Arbeit gleichwertig für alle zu gestalten.

Unter welchen Bedingungen ist hybride Arbeit erfolgreich?

Vertrauen und Zutrauen. Und genau in diesen Punkten zahlt sich unsere Transformation aus. In einer selbstorganisierten, vernetzten Arbeitskultur ist Vertrauen zwingend notwendig. Das empfinden wir alle gleichermaßen so und das wird Teil unserer Entwicklung bleiben. Vertrauen reift.

Vielen Dank, Doris, für das spannende Gespräch.

Das Gespräch führte Sabine Remdisch. Aufgezeichnet von Sabine Schritt.

2 Kommentare


  1. ·

    Klasse gesagt, Doris. Das spiegelt tatsächlich alles wieder, was ich seit 2 Jahren als Product Owner mit und in meinen Teams erlebe und was ixh nie wieder missen möchte. Eine andere Arbeitsorganisation kommt für mich nicht mehr in Frage.

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    1. Doris
      ·

      Danke Markus und euer Team ist ja auch ein super Beispiel. Freut mich!

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