Unternehmen, die zukunftsfähig sein wollen, müssen innovativ sein. Um herauszufinden, auf welchem Innovationsniveau sie sich bewegen, ist jetzt ein Profil entwickelt worden, das Ambidextrous Leadership, der Fähigkeit zum „beidhändigen“ Führen, misst und Benchmarking ermöglicht.
Nicht selten beklagen Führungskräfte die mangelnde Innovationsfähigkeit ihrer Mitarbeiter – und Mitarbeiter klagen über die fehlende Innovationsbereitschaft ihrer Unternehmen. Was auf den einzelnen Mitarbeiter frustrierend wirkt, nimmt für das gesamte Unternehmen schlimmstenfalls existenzbedrohliche Ausmaße an: Innovationsflauten kann sich heute kaum noch ein Unternehmen leisten, immer schneller dreht der digitale Wandel das Rad der ständigen Verbesserung und Erneuerung. Innovation ist das Treiberthema der Zukunft.
Unternehmen müssen innovieren, um zukunftsfähig zu sein
Mehr und mehr überlegen Unternehmen daher, wie sie ihre Innovationskraft zukunftsorientiert gestalten und stärken können; und immer häufiger stoßen sie dabei auf das Konzept des „Ambidextrous Leadership“. Diese Kunst des „beidhändigen“ Führungshandelns steht mittlerweile im Fokus organisationaler Innovationsforschung.
Innovationsprozesse zeichnen sich stets durch eine öffnende Phase, die Phase der Ideenentwicklung, und eine schließende Phase, die Phase der Ideenauswahl und -umsetzung, aus. Während die erste Phase keine Kontrolle und andere limitierende Einflüsse verträgt, sind diese Aspekte für die daran anschließende Phase unvermeidlich. Von Führungskräften und ihren Mitarbeitern sind somit Seiltänze zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, freiem Spiel und Regelwerk, Fehlertoleranz und Effizienz gefragt.
Ambidextrous Leadership verbindet Explore- und Exploit-Verhalten
Ambidextrous Leadership erfasst diese zwei Dimensionen des Führungsverhaltens mit den Begriffen „Explore“ und „Exploit“, also dem Erforschen, Erkunden, Aufschließen einerseits und dem Nutzen, Auswerten und Verwerten der Ergebnisse andererseits. „Explore“ umfasst dabei die Ermutigung zu neuen Ideen und unabhängigem, kreativem Denken und Handeln, das Unterstützen von Risiko und die Akzeptanz von Fehlern; damit schafft „Explore“ auch die Voraussetzung für die nötige psychologische Sicherheit, die Mitarbeiter brauchen, um ihre Ideen ungefiltert und ungehemmt entwickeln und präsentieren zu können. „Exploit“ beschreibt das Etablieren und Überwachen von Plänen, Regeln und Routinen, das korrigierende Eingreifen und die Sanktionierung von Fehlern. Die Fähigkeit zum „Exploit“ ist in Unternehmen in aller Regel fest verankert, Innovation jedoch braucht zuallererst „Explore“-Verhalten. Umso dringlicher stellt sich die Frage, in welchem Maße und wie stark beide Dimensionen des Führungsverhaltens im Unternehmen vorhanden sind.
Eine aktuelle Studie misst Explore- und Exploit-Verhalten in Unternehmen
Diesem Anliegen ist jetzt die internationale Personalberatung Odgers Berndtson in Zusammenarbeit mit der LeadershipGarage Research Group an der Leuphana Universität Lüneburg nachgegangen. In ihrer Ambidextrous Leadership-Studie, die im Rahmen des Odgers Berndtson Manager-Barometers 2017/2018 durchgeführt wurde, untersuchten die Forscher, wie stark Führungskräfte in den Dimensionen „Exploit“ und „Explore“ agieren und unter welchen organisationalen Bedingungen „Ambidextrous Leadership“ zu einer Steigerung der Innovationskraft führt. Dazu befragten sie eine Stichprobe von 1897 Führungskräften im Raum D-A-CH aus unterschiedlichen Branchen und Unternehmen verschiedener Entwicklungsgrade, vom Start-up bis zum alteingesessenen Unternehmen. Gefragt wurde beispielsweise, welchen Anteil Explore-Verhaltensweisen an ihrer Tätigkeit in einer typischen Arbeitswoche im Vergleich zum Exploit-Verhalten einnehmen oder auch, inwieweit die nächsten Vorgesetzten bzw. die Unternehmensleitung und die vorherrschende Unternehmenskultur ein Explore-Verhalten anregen. Auf diese Weise konnten gewichtige Aussagen zum noch wenig erforschten Thema Ambidextrous Leadership gewonnen werden.
So legen die befragten Führungskräfte quer durch alle Unternehmen nach eigener Einschätzung ein stärkeres Explore- als Exploit-Verhalten an den Tag. Auch stehen sich diese beiden Verhaltensweisen nicht unbedingt gegenläufig gegenüber: Ein stärkeres Explore- bzw. Exploit- Verhalten bedeutet nicht zwangsläufig ein schwach ausgeprägtes Exploit- bzw. Explore-Verhalten. Die Befragten aus Start-ups, die naturgemäß schnell innovieren und bereits innerhalb des digitalen Zeitalters gestartet sind, schätzen ihre Explore- und Innovationsfreudigkeit sowie das innovationsfördernde Klima in ihren Unternehmen besonders hoch ein. Zudem betonen Start-ups die karriereförderliche Wirkung von Innovation stärker als dies in bereits etablierteren jungen oder alteingesessenen Unternehmen der Fall ist.
Innovationsfähigkeit beginnt auf höchster Ebene
Einen Unterschied in der Einschätzung der eigenen Explore-Fähigkeit macht allerdings die Hierarchie-Ebene der Befragten. So schätzen die Führungskräfte aus den höchsten Hierarchieebenen (oberste Leitungsebene) ihre Innovationsfreudigkeit, das innovationsfreundliche Klima in ihren Unternehmen sowie die karriereförderliche Wirkung von Innovation am höchsten ein. Dies spiegelt sich auch in ihrer eigenen Tätigkeit wider: Im Vergleich zu den Befragten tieferer Hierarchieebenen nehmen die Explore-Aktivitäten der Befragten auf höheren Hierarchieebenen einen größeren Anteil an ihrer Gesamtaktivität ein. Das eigene Explore-Verhalten erscheint im unmittelbaren Kontext einer innovationsförderlichen Unternehmenskultur: Die Führungskräfte, die ihr eigenes Explore-Verhalten besonders hoch einschätzen, schätzen auch die Innovationskultur in ihren Unternehmen höher ein. Ein weiterer positiver Zusammenhang zeigt sich zwischen ihrer eigenen Aktivität und der Einschätzung des Explore-Verhaltens ihrer Mitarbeiter: Je mehr Explore-Verhalten die befragten Führungskräfte zeigen, desto höher schätzen sie die Explore-Aktivitäten ihrer Mitarbeiter ein.
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Führungskräften bestehen dagegen so gut wie nicht, und auch zwischen dem Alter und den Einschätzungen der Befragten bestehen kaum Zusammenhänge.
Unternehmen können ihre eigene Innovationsfähigkeit messen
In ihrer Summe ermöglicht die Studie konkret nutzbare Schlussfolgerungen für die betriebliche Innovationspraxis: Je stärker eine innovationsförderliche Unternehmenskultur ausgeprägt ist, umso stärker wird auch das Explore-Verhalten der Mitarbeitenden eingeschätzt; und eine Wertschätzung des Innovationsverhaltens von Mitarbeitern sorgt für die nötige psychologische Sicherheit, um diesen Potenzialen auch freien Lauf zu lassen. Auch für die Personalgewinnung ist die Bedeutung einer karriereförderlichen Wirkung von Innovationsverhalten nicht zu unterschätzen: Innovationsfreudige Mitarbeiter werden sich ihre Arbeitgeber künftig auch nach diesem Kriterium aussuchen. Unternehmen, denen es nicht gelingt, ihren Innovationsanspruch umzusetzen, werden dabei leer ausgehen.
Das für diese Studie von der LeadershipGarage konzipierte Online-Tool ermöglicht jedem Unternehmen eine Selbsteinschätzung seines Explore-/Exploit-Verhaltens und seiner innovationsfördernden Unternehmenskultur. Die Antworten auf Fragen zu den wichtigsten Voraussetzungen innovativer Prozesse und Verhaltensweisen machen auch ein Benchmarking möglich. So kann ein Unternehmen beurteilen, ob es im Vergleich zu anderen bessere oder schlechtere Voraussetzungen für Innovationsfähigkeit mitbringt.
Für dieses Benchmarking wird ein Ambidextrous Leadership-Profil genutzt, das aus insgesamt acht Dimensionen besteht. Im Einzelnen erfassen die acht Dimensionen das Explore-/Exploit-Verhalten der Führungskräfte, das Explore-/Exploit-Verhalten der Mitarbeitenden, die Explore- bzw. Innovationsfreundlichkeit der Unternehmenskultur, die Anleitung der Mitarbeitenden durch die Führungskräfte, die psychologische Sicherheit, die Karriereförderlichkeit von Explore-Verhalten, den Explore-Gehalt der unterschiedlichen Stellenbeschreibungen und die unternehmerische Explore-/Exploit-Strategie.
Sind diese acht Dimensionen im Unternehmen positiv ausgeprägt, steht das für ausgeprägte Innovations-Chancen des Unternehmens. Umgekehrt gilt: Sind diese Dimensionen vergleichsweise niedrig ausgeprägt, kann ein Unternehmen erkennen, welche Stellschrauben bedient werden können, um innovationsfreudiger zu werden.