Für unsere Interview-Reihe rund um das Thema Hybrid Work sprachen wir jetzt mit Dr. Dr. Timo Sandritter, einem der Gründer von RippleWorx mit Sitz in den USA. RippleWorx ist eine technologische Plattform, die dabei hilft, ein besseres Verständnis für die Empfindungen und Stimmungen von Talenten zu entwickeln und die Motivation, Entwicklung und Performance zu steigern. Wie geht ein innovatives Technologie-Unternehmen wie RippleWorx mit den Herausforderungen hybrider Arbeitsstrukturen um?
Wie viel Prozent Deiner Arbeitszeit verbringst Du im Büro, wie viel Prozent im Homeoffice bzw. mobil?
Ich bin mindestens 40 Stunden pro Woche im Büro, mache aber auch von zuhause sehr viel. So gesehen besetze ich ungefähr 1 ½ Vollzeitpositionen und bin viel mehr im Büro als zuhause – ich bin schon einer, der wirklich gern im Büro ist. Mein Arbeitstag startet um sieben Uhr morgens, nachdem ich die Kinder zur Schule gebracht habe. Und wenn ich dann abends um fünf oder sechs heimgehe, nehme ich meinen Computer mit und arbeite zudem auch am Wochenende. Wahrscheinlich bin ich also ein schlechter Maßstab, weil mir eben alles, was ich mache, sehr viel Spaß macht. Es ist für mich fast weniger Arbeit, sondern mehr Hobby. Von wo aus die Mitarbeitenden arbeiten, ist sehr unterschiedlich. Wir haben ein Büro in Atlanta und eins in Huntsville; von den Mitarbeitenden in Huntsville wollen die meisten ins Büro kommen, die Mitarbeitenden in Atlanta wollen eher von zuhause aus arbeiten. Vielleicht liegt es am regeren Verkehr in Atlanta. Wir haben jedenfalls keine festen Arbeitszeiten, sondern messen am Outcome. Das heißt, sofern die Mitarbeitenden nicht direkt mit Klienten zu tun haben, kann sich jeder seinen Kalender einteilen, wie er will.
Welche Veränderungen und Herausforderungen bringt hybrides Arbeiten mit sich – für Dich als Führungskraft und für Deine Teams?
Ich bin gern mit Menschen zusammen, und alles online zu machen ist nicht dasselbe. Es fehlen die Zwischengespräche, die möglich sind, wenn alle im selben Zimmer sind. Es gibt dieses Sprichwort: Pixels sind schön, Handschläge sind besser. Ich finde es wichtig, dass man sich doch ab und zu mal sieht, dass man nicht nur über die Arbeit spricht, sondern auch einmal über Privates oder auch einfach jemandem die Hand geben und wirklich an Whiteboards schreiben zu können. Das Zweite ist, dass man remote wahrscheinlich viel mehr Meetings hat. Oft sind es den ganzen Tag über Meetings, und erst abends kommt man zum eigentlichen Arbeiten. Ich versuche daher, meine Meetings wirklich nur 45 Minuten lang zu machen.
Das direkte Gespräch ist lockerer
Welche Kompetenzen sind für hybrides Arbeiten notwendig – in Bezug auf Dich als Führungskraft und in Bezug auf die Kompetenzen Deiner Mitarbeitenden?
In Bezug auf die Software-Entwickler merken wir besonders, dass die doch sehr introvertiert sind, das heißt, wenn wir virtuelle Meetings haben, muss dort wirklich hinterfragt und nochmals nachgefragt werden. Das war im direkten Gespräch sehr viel lockerer. Bei uns kommt noch hinzu, dass wir über verschiedene Zeitzonen verteilt sind. Da können eh nicht alle gleichzeitig im Büro sein. Ein weiterer Aspekt ist, dass man sich auch kulturell aufeinander einstellen muss. Obwohl viele meiner Mitarbeitenden zwar sesshaft in Atlanta sind, reisen sie viel herum und müssen sich immer wieder neu einpendeln. Uns als Technologieplattform kommt dabei zugute, dass wir unser Tool auch selbst nutzen können, denn das RippleWorx-Konzept basiert ja auch darauf, Kompetenzen zu entwickeln – im kognitiven wie auch emotionalen Bereich. Es geht uns nicht nur um die Kompetenz-, sondern auch um die Motivationsentwicklung.
Welche kulturellen Rahmenbedingungen braucht hybrides Arbeiten?
Aus unserer Perspektive kann ich sagen: Wir sind Leute, die wirklich nicht warten. Wir sind nicht fehlervermeidend, sondern innovationsbereit – bereit, etwas zu probieren, wo vielleicht auch Risiko dabei ist. So lernen die Mitarbeitenden, dass bei uns auch dieses Entrepreneurship-Denken wichtig ist. Unsere Kultur ist geprägt von intrinsisch motivierten Mitarbeitenden, die ihren eigenen Kalender kennen und dementsprechend auch wissen, wann sie die meiste Energie haben.
Fast alle Positionen können von überall ausgeführt werden
Unter welchen Bedingungen ist hybride Arbeit erfolgreich?
Eine wichtige Bedingung ist die Freiheit jedes Mitarbeitenden, herauszufinden, welche Arbeitsform zu ihm passt. Dafür braucht es natürlich auch ein entsprechendes Management, das dafür sorgt, dass jeder Mitarbeitende genug Arbeit bekommt bzw. das genug und die jeweils passende Arbeit generiert. Von unserer Seite aus ist es sehr locker in dem Moment, in dem die Leute motiviert sind. Und es können fast alle bei uns vertretenen Positionen von überall aus erbracht werden.
Wie stellst Du Innovation innerhalb hybrider Arbeit sicher?
Innovation hybrid – das klappt für uns noch nicht so, und von daher versuchen wir es auch gar nicht. Stattdessen haben wir einen größeren Raum umgewandelt in einen Design-Thinking-Room, und einmal im Quartal sind alle da. Der Raum ist tatsächlich so gedacht, dass dort keine Meetings im Hybrid stattfinden. Die Wände sind mit Whiteboards bestückt und es sind Materialien vorhanden, die in Präsenz funktionieren. Hier kommen die kreativen Mitarbeitenden zusammen. Da haben wir dann die Denkerkappe auf, sind alle in einem großen Zimmer und es wird einfach einmal bis spät abends durchgedacht und Innovation betrieben. Man kann niemanden zur Innovation zwingen, aber man kann zumindest ein kreatives Umfeld herstellen.
Was fällt Dir zu folgenden Schlaglichtern ein:
Soziale Isolation: Die Arbeit im Homeoffice oder anderswo kann, neben allen positiven Aspekten, auch in die soziale Isolation führen – wie wirkst Du sozialer Isolation Deiner Mitarbeitenden entgegen?
Es ist sehr leicht, in Isolation zu verfallen und auch sehr einfach, den ganzen Tag lang das Haus nicht zu verlassen. Deshalb bieten wir unseren Mitarbeitenden viele Touch Points an. Und wir richten unsere Kultur auch an der Isolationsvermeidung aus. Wir haben zum Beispiel gesagt, es werden keine Firmenevents mehr abends um fünf stattfinden, um nicht im Wettbewerb mit den Familien zu sein. Alle unsere Events machen wir tagsüber und versuchen zudem, auch solche Fun-Events zu haben, die genau diese soziale Isolation vermeiden und helfen, aus dem Trott herauszukommen. Für uns ist das emotionale Wellbeing genauso wichtig wie das kognitive Wellbeing. Die Frage, wie es dem Mitarbeitenden geht, ist bei uns also genauso wichtig wie die Entwicklung und Performance unserer Mitarbeitenden.
Selbstmanagement und Verantwortungsübernahme: Hybrid Work setzt ein hohes Maß an Selbstmanagement und Verantwortungsübernahme der Mitarbeitenden voraus – wie baust Du diese Kompetenzen Deiner Mitarbeitenden auf?
Wir haben verschiedene Tools, die wir nutzen, um das Ganze zu sortieren. Ich selbst habe einige Checklisten, die ich jede Woche bearbeite; aber oft sind mein Terminkalender und meine E-Mail-in-Box meine Tasks. Die meisten haben auch einen Ripple-Kalender, sodass jeder sehen kann, wo ich zum Beispiel jetzt gerade bin. Natürlich sagen die Mitarbeitenden, wenn sie für längere Zeit im Urlaub sind. Aber wo von wo aus sie arbeiten, wenn sie nicht im Office sind, spielt keine Rolle, solange das Ergebnis stimmt.
Vertrauen in hybriden Strukturen: Vertrauen ist und bleibt die Basis erfolgreicher Zusammenarbeit, auch in hybriden Arbeitsstrukturen – wie entwickelst Du das Vertrauen innerhalb Deiner Teams und zwischen Team und Führungskraft?
In der Theorie ist es einfach – jeder will jedem vertrauen. Aber in der Praxis gibt es doch immer wieder Zweifel. Ich merke, dass oft noch gilt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Und da versuche ich gegenzusteuern. Wir sind alle professionell, und ich habe keine Lust, die Vater- oder Mutterfunktion zu übernehmen und den Mitarbeitenden auf die Finger zu schauen. Schlecht ist es, zu warten, bis es brennt. Trotzdem möchte nie in einer Situation sein, in der ich den Leuten nicht traue oder Zweifel habe an dem Charakter der Mitarbeitenden. Da wende ich auch selbst emotionale Intelligenz an, um die Perspektive des Mitarbeitenden einzunehmen.
Feedbacks: Ein weiterer wichtiger Baustein erfolgreicher Zusammenarbeit sind Feedbacks – wie gibst Du Feedbacks, wenn Du es nur online tun kannst?
Ich selbst bin, wie gesagt, gern im Büro und mache am liebsten alles persönlich. Aber die Generation nach mir, die Millennials, die wollen und brauchen das direkte Gespräch oft gar nicht mehr so. Die haben ihr Handy, arbeiten am Computer und möchten gar nicht immer mit dem Chef abhängen, sondern auch diesen Kontakt über die Technologien erledigen. Darauf sind wir zum Glück von Haus aus vorbereitet, denn über unsere Plattform sind ja jegliche Formen des Feedbacks möglich. Unter anderem haben wir auch eine App, über die Feedback anonym gegeben werden kann. Das ist bisher aber noch nicht so in Anspruch genommen worden. Ich selbst möchte übrigens auch Feedback bekommen, und zwar vor allem das negative. Denn wenn alle ja und amen zu mir sagen – wie kann ich dann auch selber wachsen?!
Etwas tun, bevor es zu spät ist
Psychische Belastung und Stress: Neben allen Vorteilen birgt Hybrid Work die Gefahr ungewöhnlicher psychischer Belastung und Stress – wie gehst Du mit betroffenen Mitarbeitenden um, und wie vermeidest Du selbst psychische Belastung und Stress?
Das emotionale Wellbeing unserer Mitarbeitenden ist uns sehr wichtig. Und wir sind darauf eingestellt, etwas zu tun, bevor es zu spät ist; also in der Prävention und nicht in der Reaktion zu agieren. Wir haben zum Beispiel Yoga-Sessions oder auch eine Session, zu der ein christlicher Pastor kommt, um über ethische Themen, über Themen, die die Welt gerade bewegen, zu sprechen. Ganz allgemein gesagt ist es nicht nur wichtig zu fragen, wie geht es dir, sondern auch auf die Antwort zu warten und dann entsprechend zu handeln. Mal ein gemeinsamer Kaffee, ein Tag im Hotel, eine Massage – solche Feedbacks sind dann auch wichtig.
Herzlichen Dank, Timo, für die interessanten Einblicke in die technologischen, aber auch emotionalen Momente hybrider Arbeitsweisen.