„Es braucht ganz viel gegenseitiges Vertrauen“

In unserer Interview-Reihe rund um das Thema Hybrid Work sprechen wir mit führenden Köpfen unterschiedlichster Unternehmen und Organisatoren – vom Start-up bis zur Behörde. So sprachen wir dieses Mal mit Annette Freitag von der Bundesagentur für Arbeit. Sie ist dort als Koordinatorin für Bildungsprogramme bei der Führungsakademie tätig. Mit ihren etwa 120 Mitarbeitenden unterstützt die Führungsakademie die Bundesagentur durch Schulungskonzepte und ist erste Ansprechpartnerin für deren Führungskräfte-Qualifizierung. Auch an dieser Institution ging die Pandemie nicht spurlos vorbei. Wir wollten nun wissen: Wie ging die Führungsakademie als Teil einer öffentlichen Organisation mit dem plötzlichen Wandel der Arbeitswelt um?

Dr. Annette Freitag (Foto: Privat)

Wie viel Prozent Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie im Büro, wie viel Prozent im Homeoffice bzw. mobil?

Im letzten Jahr war ich zu 90 Prozent im Homeoffice, zu 10 Prozent im Seminarraum. Wann immer es ging, haben wir etwas in Präsenz gemacht. Es gab dazu natürlich auch entsprechende Regelungen, denn auch die Agenturen der Arbeit waren nur für Notfälle geöffnet. Als deren Kunde bekam man dort vorzugsweise Online-Termine oder telefonische Beratungen. Wir haben die Pandemie also sehr ernst genommen, was mich sehr gefreut hat.

Welche Veränderungen und Herausforderungen bringt hybrides Arbeiten mit sich – für Sie als Führungskraft und für Ihre Teams?

Eine Herausforderung ist auf jeden Fall der zu beobachtende Informationsverlust und ein Vertrauensverlust. All diese Themen, die man zuvor mal kurz auf dem Flur aufschnappte, die in der Kaffee-Ecke ausgetauscht wurden, die bekommt man nicht mehr mit. Stattdessen bekommt man gefilterte Informationen, weil man ja nur noch über feste Termine skypt und sich dabei dann stark an die Themen hält, die man dort gerade besprechen will. Es gibt wenig Zwischenmenschliches – und dafür hat man sich zwischenzeitlich auch wenig Zeit genommen, wenn man mal ehrlich ist. Wir haben wahnsinnig viele Besprechungen, die sehr stark mit Inhalten geframt sind, aber es gab wenig Gelegenheit zum informellen Austausch. Das führt natürlich auch leicht zu schlechter Stimmung bis hin zu gegenseitigem Misstrauen. Ich habe mir jetzt angewöhnt, dass ich, sobald ich das Gefühl habe, dass da irgendetwas schwelt, aktiv anrufe und nachfrage. Ansonsten rennt man in seinem Homeoffice mit ganz viel Ärger im Magen herum, der sich nicht auflösen lässt.

Das Vertrauen im Team nicht sterben lassen

Welche Kompetenzen sind für hybrides Arbeiten notwendig – in Bezug auf Sie als Führungskraft und in Bezug auf die Kompetenzen Ihrer Mitarbeitenden?

Erst einmal die technischen Kompetenzen, die nicht immer selbstverständlich sind. Dann vor allem auch die Kompetenzen, wie in hybriden Formaten Aufmerksamkeit erzeugt werden kann, und zwar auch in größeren Gruppen. Ich habe viele Seminare online umgesetzt, was zunächst gar nicht so einfach war. Wie lange können die Teilnehmenden zugucken, wie lange vor dem Computer verbringen? Das waren so Fragen. Bei Präsenzseminaren sind es ungefähr anderthalb Stunden, dann eine Pause – aber am Computer ist die Aufmerksamkeitsspanne doch deutlich kürzer. Was als Führungskraft noch einmal besonders wichtig ist: Formate zu finden und auch zu erfinden, um das Vertrauen im Team nicht sterben zu lassen. Ich telefoniere dann, wie gesagt, auch mal einzelne Kollegen an, um auch einmal über Zwischenmenschliches zu sprechen. Darüber hinaus erproben wir Maßnahmen zum Teambuilding. Mit den Teilnehmenden von den Seminaren haben wir uns zum Beispiel immer mal wieder zum Cyber-Frühstück getroffen und uns morgens bei einer Tasse Kaffee ausgetauscht. Doch auch da bleibt es schwierig, wenn bei dreißig Teilnehmenden immer nur einer sprechen kann. Das ist dann nicht dasselbe wie bei einem echten Austausch.

Welche kulturellen Rahmenbedingungen braucht hybrides Arbeiten?

Es braucht ganz viel gegenseitiges Vertrauen. Dazu gehört allein schon die Grundhaltung, davon auszugehen, dass diejenigen, die im Homeoffice sind, sich nicht automatisch einen lauen Lenz machen, sondern arbeiten. Zu den kulturellen Rahmenbedingungen gehört aber auch ganz viel Entscheidungsfreiheit, weil es unheimlich schwierig ist, immer alles multilateral abzustimmen – was in Behörden in vielen Fällen natürlich trotzdem immer noch gemacht werden muss.

Hybrid ist eine andere Ernsthaftigkeit

Unter welchen Bedingungen ist hybride Arbeit erfolgreich?

Ich denke, dass zu unterscheiden ist, welche Themen für hybride Arbeit geeignet sind und welche nicht. Es ist schon sehr gut und bei hybrider Arbeit auch möglich, Informationen zu vermitteln oder Abstimmungen über die Tools zu machen. Das geht ganz gut. Schwierig wird es, wenn es kontroverse Diskussionen gibt, weil eben immer nur einer sprechen kann und eine sehr große Disziplin notwendig ist. Ich war mittlerweile in diversen Online-Workshops – es geht irgendwie, dass man da auch zu Ergebnissen kommt; aber es ist eben nicht dasselbe als wenn man sich in einem Besprechungsformat trifft. Vermitteln wir Sachinformationen, zum Beispiel was gerade am Arbeitsmarkt passiert oder was hat sich bei uns in den Gesetzen geändert, funktioniert es virtuell ziemlich gut. Und da finde ich hybride Arbeit auch sinnvoll. Wir haben ja in den Jahren zuvor und gerade in einer großen Bundesbehörde teilweise sehr viele und weite Dienstreisen gemacht. Jetzt spart digitale Arbeit oft hohe Reisekosten und Reisezeit. Ich selbst habe vor der Pandemie viele, viele Stunden in der Bahn verbracht. Das passiert jetzt nicht mehr so oft und ich glaube, dass das auch nicht wiederkommt. Zum einen haben sich alle an das neue Arbeiten gewöhnt. Auch wir in der Weiterbildung der Bundesagentur haben die Idee, zu schauen, was sich künftig in Online-Formate packen lässt und was weiterhin in Präsenz sein muss. Formate zur Vernetzung und zum multilateralen Austausch würde ich nicht gerne online machen, das geht in der Präsenz wirklich besser. Ob online und Präsenz bei uns in der Akademie künftig halbe-halbe sein werden, wird man sehen. Doch gerade die Online-Formate, die in der Pandemie zunächst aus der Not heraus geboren wurden, wie beispielsweise unser Leadership Talk, haben sehr viel Zulauf! Früher, in Präsenz, haben da 10 Personen in einem Kurs gesessen, und jetzt hat man gerne auch mal Veranstaltungen, in die sich 90 bis 120 Teilnehmende hineinklicken. Und es ist natürlich gerade auch für eine Führungskraft sehr viel einfacher, spontan zu gucken was gerade läuft und sich für eine Stunde einzuklinken, anstatt sich in den Zug zu setzen und in die Akademie zu fahren. Wir werden einen Teil der Online-Formate deshalb mit Sicherheit beibehalten. Aber daneben müssen jetzt eben auch wieder Sachen etabliert werden, die in Präsenz laufen. So mache ich jetzt ein Programm für junge Führungskräfte, bei dem Vernetzung, Wissenstransfer und berufliche Orientierung im Vordergrund stehen. Die müssen sich schon direkt kennenlernen können. Im letzten Jahr haben wir das Programm zu nahezu 100 Prozent online durchexerziert, und das war wirklich nicht optimal. Ich habe gemerkt, dass die Teilnehmenden bei diesen Seminaren oft nicht bei der Sache waren oder es kam jemand in deren Büro und störte. Die Ernsthaftigkeit bei hybriden Arbeitssituationen ist eben doch oft eine andere.

Wie stellen Sie Innovation innerhalb hybrider Arbeit sicher?

Wir haben einige Online- Workshops zum Thema Change Management gemacht Die wurden von den Moderatoren sehr akribisch vorbereitet und in ein sehr starkes Korsett gezwängt, innerhalb dessen man kommunizieren konnte. Das war aber leider auch nicht anders möglich.

Was fällt Ihnen zu folgenden Schlaglichtern ein:

Soziale Isolation: Die Arbeit im Homeoffice oder anderswo kann, neben allen positiven Aspekten, auch in die soziale Isolation führen – wie wirken Sie sozialer Isolation Ihrer Mitarbeitenden entgegen?

Ich erlebe soziale Isolation im Homeoffice tatsächlich schon. Die Frage ist: Ist ein Arbeitgeber bereit, sich über dieses Thema überhaupt intensiv Gedanken zu machen und dann Formate einzuführen, die das verhindern? Bei uns passierte das auf Initiative von einzelnen Führungskräften. Wir haben auch eine digitale Kaffee-Ecke eingerichtet, in der man sich treffen kann. Allerdings konzentrieren wir uns in dieser großen Organisation schon eher auf Sachthemen; aber es gibt immer wieder Führungskräfte, die sagen, wir machen jetzt mal ein Meeting bei dem der persönliche Austausch im Vordergrund steht oder sie lassen zu, dass die Leute vor und nach dem Meeting ein bisschen quatschen können. Und das war tatsächlich auch in unserem Team möglich und auch dringend notwendig. Ich persönlich hatte durchaus das Gefühl, auch mal recht allein mit Problemen zu sein. Ich glaube, dass ein Großteil derjenigen, die sich geweigert haben, ins Homeoffice zu gehen, das unter anderem deshalb getan haben – weil sie ansonsten keinen mehr getroffen und keinen Kontakt mehr gehabt hätten. Aber wenn jetzt wieder ein Wechsel stattfindet zwischen Homeoffice und Präsenz, dann ist das Thema nicht mehr so groß.

Selbstmanagement und Verantwortungsübernahme: Hybrid Work setzt ein hohes Maß an Selbstmanagement und Verantwortungsübernahme der Mitarbeitenden voraus – wie bauen Sie diese Kompetenzen Ihrer Mitarbeitenden auf?

Ich glaube, dass die Selbstmanagement-Fähigkeiten in den Führungsetagen   durchgehend vorhanden sind. Führungskräfte haben Selbstmanagement ja schon vor der Pandemie geübt. Bei den Mitarbeitenden, die bei uns beispielsweise in den Eingangszonen oder in den Leistungsabteilungen vorwiegend Routinetätigkeiten verrichten, ist das anders. Diese Kolleginnen und Kollegen haben klar definierte Aufgaben und Ziele und sie werden sehr eng geführt und kontrolliert. Da war bislang weniger Bedarf an Selbstmanagementkompetenzen. Ich denke, dass sich das aber mit dem digitalen Wandel sehr verändert. Insbesondere diejenigen, die im Homeoffice arbeiten, müssen sich sehr viel stärker selbst motivieren und sich ihre Arbeitszeiten und ihr Arbeitspensum selbst einteilen.

Selbstorganisation von Arbeitszeit und Arbeitsort: Hybrid Work steht in starkem Maße für die Selbstorganisation von Arbeitszeit und Arbeitsort – wie gehen Ihre Mitarbeitenden, wie gehen Sie selbst damit um?

Wir als Behörde haben ganz klare Arbeitszeitregelungen, die sind festgelegt und die Zeiterfassung erfolgt auch, wenn man im Homeoffice arbeitet. Ich habe jetzt gerade gesehen, dass die Bundesagentur plant, auch nach der Pandemie am Homeoffice festzuhalten. In Absprache mit der jeweiligen Führungskraft sollen bis zu 50 Prozent Homeoffice möglich bleiben. Ich finde das wunderbar und bin gespannt, wie es angenommen wird. In der Pandemie war es ja noch einmal etwas anderes, da sind viele einfach auch aus Selbstschutz zuhause geblieben.

Feedbacks: Ein weiterer wichtiger Baustein erfolgreicher Zusammenarbeit sind Feedbacks – wie geben Sie Feedbacks, wenn Sie es nur online tun können?

Wir hatten da bis jetzt recht klare Regelungen.  Es gibt fest getaktete Mitarbeitergespräche, die sich Leistungs- und Entwicklungsdialoge nennen, und da gibt es ein einseitiges Feedback von oben nach unten. So etwas wie 360-Grad-Feedbacks gibt es nur dann, wenn eine Führungskraft bereit ist, sich darauf einzulassen und das aktiv einfordert. Jetzt macht man sich aber auch in der Bundesagentur Gedanken über das Thema Mitarbeiter-Feedbacks. Es gibt zum Beispiel bundesweite anonyme Mitarbeiterbefragungen zur Zufriedenheit und zur Belastungssituation im Job. Aber ein geregeltes 360-Grad-Feedback steckt, soweit ich das beurteilen kann, eher noch in den Kinderschuhen

Resilienzen stärken, neue Methoden finden

Psychische Belastung und Stress: Neben allen Vorteilen birgt Hybrid Work die Gefahr ungewöhnlicher psychischer Belastung und Stress – wie gehen Sie mit betroffenen Mitarbeitenden um, und wie vermeiden Sie selbst psychische Belastung und Stress?

Wir haben im Rahmen des Gesundheitsmanagements Angebote zur Stressbewältigung, und es gab auch während der Pandemie Online-Angebote dazu – von der Bewegung am Arbeitsplatz bis zu Entspannungsübungen. Ich denke schon, dass die Leute mehr belastet sind, schon weil man sich im Homeoffice weniger bewegt und weil auch der Spaß an der Arbeit zum Teil daher rührt, dass man sich mit anderen vernetzen kann, dass man Spaß mit seinen Kollegen hat oder auch mal abends etwas gemeinsam macht. Das alles ist weggefallen. Hinzu kommen die psychischen Belastungen und Stressoren, die insgesamt durch die Pandemie in der Gesellschaft entstanden sind – und das ist dann natürlich auch am Arbeitsplatz extrem. Wenn ich auf mich selber schaue, musste ich Möglichkeiten finden, mit Stresssituationen alleine umzugehen. Dabei hilft mir nicht immer die progressive Muskelentspannung online; es ist schon eher so, dass man seine Resilienzfaktoren kennen und sich selber mit den richtigen Methoden stärken muss.

Transparenz: Je weniger die Mitarbeitenden sich und ihre Führungskräfte direkt sehen, umso wichtiger wird die Transparenz, wer gerade von wo aus an was arbeitet – wie stellen Sie diese Transparenz her?

Bei einer riesigen Bundesbehörde ist es natürlich grundsätzlich schwierig festzustellen, wer gerade genau an was arbeitet. Man kann sich ein Organigramm angucken. Zumindest auf Projektebene haben wir Teams und arbeiten da beispielsweise mit Teamboards. Geplant ist auch ein „social Intranet“, in dem sich Mitarbeitergruppen finden, vernetzen und austauschen können. Aber wenn ich jetzt jemanden suche für ein bestimmtes Thema, dann hilft es nichts – dann muss ich mich durch die Instanzen telefonieren, um herauszufinden, wer steht für welches Thema, wer treibt welche Innovationen voran und wer trifft welche Entscheidungen.

Funktionierende Zusammenarbeit: Egal von wo aus die Mitarbeitenden arbeiten, die Zusammenarbeit muss gesichert sein – wie sichern Sie die gute Zusammenarbeit?

Wir haben eine sehr, sehr intensive Besprechungskultur. Ich bin meistens vom Homeoffice aus zugeschaltet, auch wenn sich jetzt wieder viele vor Ort, in der Akademie treffen. Es gibt zum Beispiel feste Zeiten, zu denen wir Jour fixe machen – ich zum Beispiel habe einen Jour fixe mit meiner Führungskraft und einen Jour fixe mit meinem Team. Das frisst natürlich viel Zeit, aber anders bekommen wir die Zusammenarbeit nicht hin. Anfang der Woche hatten wir sogar eine hybride Personalversammlung, da saßen drei der Referentinnen und Referenten vor Ort in der Akademie und der Rest wurde hybrid zugeschaltet. Das ist mittlerweile eine Kultur, die wir als normal wahrnehmen. Und die Technik ist ja da.

Herzlichen Dank, Annette Freitag, für die vielfältigen Eindrücke und Einblicke, wie sich Hybrid Work in ihrer Führungskräfteakademie und im Rahmen einer Bundesbehörde wie der Bundesagentur für Arbeit gestaltet!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert