Schwerpunktmäßig beschäftigt sich die diesjährige LeadershipGarage mit dem Thema Hybrid Work und untersucht die Faktoren, die hybrides Arbeiten zum Erfolg führen. Um dieses Forschungsfeld weiter zu öffnen, fragte die LeadershipGarage jetzt, wie hybrides Arbeiten im ländlichen Raum funktioniert: Kommen die neuen Arbeitsformen dort ebenfalls an und wenn ja, wie werden sie aufgenommen?
Um dem nachzugehen, haben wir uns beispielhaft das neue Coworking Space „Freiraum“ in Winsen an der Luhe angesehen. Winsen hat rund 35.000 Einwohnern, liegt ruhig und behaglich zwischen Hamburg und Lüneburg und ist nicht zuletzt deshalb ein attraktiver Standort für Menschen, die ländlich wohnen und städtisch arbeiten wollen. Der Hamburger Hauptbahnhof ist von Winsen aus in knapp 20 Minuten erreichbar, nach Lüneburg sind es sogar nur 10 Minuten Zugzeit.
Betreiber des Winsener Freiraums ist die Freiraum Lüneburg UG, die ein weiteres Coworking Space bereits seit mehreren Jahren erfolgreich in Lüneburg führt.
Hybrid Work in heiligen Hallen
Für unseren Besichtigungstermin sind wir mit Niklas Keßler, Projektleiter bei Freiraum und in Winsen von Anfang an dabei, verabredet.
Wir treffen uns in der St.-Georg-Straße 1. Hinter dieser Anschrift verbirgt sich ein geradezu himmlisches Immobilien-Ensemble: Ein ehemaliges Stift aus dem 16. Jahrhundert, das ein historisches Wohnhaus und eine kleine Kapelle, nämlich die Sankt-Georgkapelle umfasst. Mittlerweile stehen beide Gebäude unter Denkmalschutz, was einerseits den Charme dieser Location über alle Jahre hinweg erhalten hat, gleichzeitig aber hohe Anforderungen an eine denkmalschutzkonforme Umnutzung mit moderner Infrastruktur stellte.
Unser Rundgang durch den Freiraum beginnt im Erdgeschoss. Hier befindet sich der Coworking-Bereich mit insgesamt 10 Arbeitsplätzen, die bereits ab einer Stunde angemietet werden können; unmittelbar angrenzend liegen drei kleine Büroeinheiten, die sogenannten Séparées. Diese Einzelbüros sind monatsweise mietbar, sie sind mit Vierertischen ausgestattet und ermöglichen es, auch mal hinter verschlossenen Türen zu arbeiten. Dann gibt es auf dieser unteren Etage noch drei kleine, kompakte Seminarräume, in denen acht bis fünfzehn Personen Platz finden bzw. in Coronazeiten entsprechend weniger. Hier stehen Metaplan, Flipchart, Moderationskoffer, Beamer und Leinwände bereit.
Zur anderen Seite des Coworking-Bereichs geht es in eine kleine Küche und von dort hinaus in einen romantischen Innenhof, der seinerseits in einen großen Garten mündet. Dies alles kann von den Mieterinnen und Mietern genutzt werden und soll in spe auch interessierten Besucherinnen und Besuchern für eine Tasse Kaffee offenstehen.
Außerdem gibt es auf dieser unteren Ebene und zum Garten hin gelegen sogar eine kleine Einliegerwohnung, in der künftig beispielsweise Dozenten übernachten können; zunächst einmal wird sie für Flüchtlinge aus der Ukraine hergerichtet.
Über eine alte, grün gestrichene Holztreppe führt uns Niklas jetzt ins Obergeschoss. Hier befinden sich die Büroflächen für Ankermietende – das sind solche Mieter, die langfristig ein Büro mieten es dann auch mit eigenem Mobiliar ausstatten. Dazu gehört auch ein großzügiger Besprechungsraum mit Blick in den Innenhof und Garten. Und über der Fläche dieses Obergeschosses thront dann noch die riesige Tenne, ein Raum von rund 90 Quadratmetern mit bodentiefem Fenster und alten Dachbalken. Nicht nur größere Meetings oder Besprechungen sind hier denkbar. Demnächst wird die Tenne beispielsweise von einer Winsener Yogalehrerin angemietet, die hier ihre Yogakurse geben wird.
Auf der ersten und zweiten Ebene gibt es Sanitär- und Küchenbereiche und abschließbare Spinde für die Mieterinnen und Mieter. Die Durchgangsflächen sollen künftig Künstlerinnen und Künstlern aus der Region als Ausstellfläche zur Verfügung stehen.
Den räumlichen Clou dieses Freiraums bildet ganz sicher die kleine Kapelle, die wir jetzt zum Schluss noch einmal besichtigen können. Sie bietet Platz für bis zu 140 Personen bzw. bis zu 80 Besucher mit Bestuhlung. Das erlaubt noch einmal mehr Nutzungsoptionen und erweitert den wirtschaftlichen Spielraum des Freiraums um Veranstaltungsformate über die reine Büro- und Seminarraumvermietungen hinaus.
Ein Coworking Space nach Bürgerwunsch
Nachdem wir alles einmal gesehen haben, wollen wir von Niklas wissen, wie es zu dem neuen Freiraum in Winsen/Luhe kam.
Wir erfahren, dass es sich dabei um eine Kooperation des Freiraum-Teams und der Stadt Winsen handelt: Winsen ist Mieterin der Gebäude, das Freiraum-Team der Betreiber.
Die Vorlaufzeit zu diesem Projekt betrug etwa drei Jahre. Dem Erstkontakt mit der Stadt folgte eine Bürger/innen-Befragung, und es zeigte sich, dass ein Coworking Space genau dem Wunsch der Winsener Bürgerinnen und Bürger entsprach. Im nächsten Schritt einigte man sich auf die jetzt genutzte Immobilie, das Freiraum-Team schrieb ein Konzept und begleitete den Förderantrag. Außerdem entschied man sich, auch den weiteren Betrieb dieses Coworking Space zu begleiten. Es folgten eine Bewerbungsphase und ein Pitch – und der Freiraum erhielt den Zuschlag. Im April 2021 wurde das Objekt gemietet, die Umbauphase startete im September, und seit April 2022 ist der Freiraum nun in Betrieb.
Die Projektphase läuft über drei Jahre. Die entsprechenden Gelder für die technische Instandsetzung und Teile der Ausstattung kommen aus einem Förderprogramm und der Stadt Winsen. Künftig will der Freiraum mit den Mieteinnahmen die Subventionen immer weiter zurückdrängen, sodass sich der Betrieb dann bestenfalls nicht nur in Richtung einer schwarzen Null, sondern bis ins Jahr 2023 in den positiven Bereich entwickelt.
Die Startphase hat der Winsener Freiraum schon einmal erfolgreich absolviert: Er stößt hier auf großes Interesse und wird auch praktisch schon sehr gut angenommen. Zu den Nutzerinnen und Nutzern zählen Selbständige, aber auch Angestellte, die das Coworking dem Homeoffice vorziehen. Außerdem sind hier kleine, im Wachstum befindliche Unternehmen oder ausgelagerte Unternehmensbereiche ansässig.
Am interessantesten, so berichtet uns Niklas, ist zurzeit der offene Coworking-Bereich; vermietet sind aber auch schon zwei der Séparées, und auch die fixen Büros sind zum Teil bereits in festen Händen. Bei der Seminarraumvermietung ist noch Luft nach oben, gleichwohl ist deren Raumnutzungen noch nicht in Stein gemeißelt. Steigt beispielsweise die Nachfrage nach kleinen Büros, können die kleinen Seminarräume für diese Nutzung umgewandelt werden.
Ein Ort mit Strahlkraft
Mit dem Freiraum bietet die Stadt Winsen seinen Einwohnerinnen und Einwohnern einen zusätzlichen Luxus über die eigene städtische Infrastruktur hinaus und positioniert sich auf diese Weise auch im Kontext der umgebenden Satellitenstädte noch einmal neu. Bei allen wirtschaftlich notwendigen Aspekten, sieht Niklas ein Coworking Space in Städten von der Größe Winsens daher vor allem als eine Dienstleistung der Stadt für ihre Bürgerinnen und Bürger – als einen Mehrwert, der dann auf die Stadt als Wirtschaftsstandort wieder abfärbt. So haben beispielsweise Pendler mit dem Freiraum die Möglichkeit, weniger zu pendeln und mehr hybrid zu arbeiten – und werden ihre Mittagspause, um nur einen Aspekt zu nennen, in der Winsener Innenstadt verbringen.
Das Beispiel des Winsener Freiraums hat das Zeug, auch anderen Städten vom Winsener Format Mut zu machen, sich den Anforderungen der veränderten Arbeitswelt mit ihren zunehmend hybriden Arbeitsformen zu stellen und ihren Einwohnerinnen und Einwohnern dementsprechende attraktive Angebote zu schaffen.
Seine Erfahrungen teilt Niklas übrigens gern!
Vielen Dank, Niklas, für diese spannende Führung durch das neue Coworking Space in Winsen/Luhe!