Airbus will die digitale mit der industriellen Welt verzahnen. Das ist gut für den Menschen: In der Fabrik der Zukunft wird es für ihn immer noch einen Platz geben. Impulse aus einem Vortrag von Dr. Markus Durstewitz, Head of Innovation Methods & Tools bei Airbus in Hamburg, gehalten in der LOOP Lounge „Digital wird normal – Führungskonzepte der Zukunft“ in Lüneburg.
Das Wort Pilotenkoffer hat sich überlebt. Die voluminöse, schwere Tasche, mit der ein Flugzeugführer früher ins Cockpit stieg, symbolisierte wie kein anderer Gegenstand die Ge-Wichtigkeit dieses Berufs – die anspruchsvolle Ausbildung, das hohe Prestige, die Last der Verantwortung. Die beeindruckten Passagiere vermuteten im Koffer höchst komplizierte technische Anleitungen, Navigationshilfen und Notfallpläne. Das war einmal. Alle relevanten Informationen führt der Pilot heute in digitaler Form mit sich: iPad statt Koffer, Megabyte statt Kilogramm.
Der kleine Zeitsprung veranschaulicht, wie neue Technologien die Luftfahrt verändert haben. Als Flugzeughersteller steht Airbus in vorderster Reihe dieser Entwicklung. Vor allem ist die Digitalisierung ein großes Thema für das Unternehmen. Wenn Daten schneller und zuverlässiger verarbeitet werden, trägt dies dazu bei, Produkte noch besser zu machen – ein schlagendes Argument gerade in der Luftfahrt. Allerdings haben Daten allein keinen Wert. Entscheidend ist, sie in den richtigen Anwendungskontext zu setzen. In einem Flugzeug sammeln Sensoren Daten, die zum Beispiel in Flugbewegungen umgesetzt werden. Erst durch die Kontextualisierung gewinnen diese Daten an Wert.
Ein anderes Beispiel ist die Fertigung von Kabelbäumen. Der Großraumjet A380 misst fast 80 Meter. Da kommen mehrere hundert Kilometer an Kabeln zusammen. Früher wurden alle Verbindungen und Abzweigungen auf Papier gezeichnet und mit Hilfe von Nagelbrettern montiert. Heute gelangen diese Informationen digital an den Arbeitsplatz des Fertigungsmitarbeiters. Am Bildschirm steuert er gezielt den nächsten Fertigungsschritt an – statt sich durch das gezeichnete Labyrinth auf einer meterlangen Papierrolle voranzutasten. Die große Herausforderung lautet, die digitale Welt mit der industriellen Welt zu verbinden. Insbesondere im Hinblick auf Einzelanfertigungen zur Umsetzung von individuellen Kundenwünschen und eher handwerklichen Tätigkeiten sind neue Konzepte für die Automatisierung der Fertigung gefragt, die den Menschen gezielt in das industrielle System mit einbindet.
Ein Innovationsmanager hat die vordringliche Aufgabe an, Menschen zusammenzubringen. Ideen setzen Berührungspunkte voraus, sogenannte Touch Points. Bei Airbus treffen Menschen, die globalen Teams angehören, immer wieder auch im wirklichen Leben aufeinander. Sie kommen aus aller Welt an einem bestimmten Ort zusammen, um intensiv an einem Projekt zu arbeiten. Sprints werden diese Phasen der Co-Creation genannt. Sie dauern maximal drei Monate und leisten etwas sehr Wertvolles: sie bauen Vertrauen auf und liefern Ergebnisse in Rekordzeit. In der anschließenden Phase der Projektumsetzung kann das Team dann besser mit der digitalen Kommunikation über das Internet oder Videokonferenzen umgehen – man versteht sich eben.
Großunternehmen waren jahrelang damit beschäftigt, Strukturen und Standards zu schaffen, um die Fliehkräfte einer globalen Organisation zu bändigen. Mittlerweile scheint man die Uhr teilweise zurückdrehen zu wollen: Wie können Konzerne Strukturen wieder aufbrechen und Freiräume schaffen, um dynamischer und agiler zu werden? Dies ist kein technisches, sondern zum großen Teil ein Management- und Leadership-Problem. Airbus versucht es zu lösen, indem kleine Einheiten Stück für Stück mehr Handlungsfreiraum erhalten. Ein Beispiel ist das Engineering Team, das die Klimaanlagen für die Flugzeuge entwickelt. Hier arbeiten mehr als hundert Ingenieure aus verschiedenen Disziplinen zusammen – das sind „mittelständische“ Maße. Warum sollte diese Einheit nicht auch so agil und eigenständig arbeiten dürfen wie ein mittelständisches Unternehmen? Großunternehmen stehen erst am Anfang dieser Organisationsentwicklung, aber es ist vorstellbar, dass sie in zehn Jahren ganz anders aussehen – vielleicht wie ein Netzwerk aus Mittelständlern und Startups?
Expertensysteme sind schon sehr lange in Flugzeugen im Einsatz – man denke nur an den Autopiloten. Die entscheidende Frage bei der Entwicklung von Expertensystemen ist: Wie kommt das Wissen in das System? Hier spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle. Wer wissen will, wann ein Politiker geboren ist, schaut in Wikipedia nach. Geht es aber um essenzielle Dinge, besonders wenn davon die Sicherheit der Fluggäste abhängt, ist die Vertrauenswürdigkeit der Informationsquelle entscheidend. Anstelle anonymer Quellen, bauen Unternehmen wie Airbus hier auf die Erfahrung von Experten und anerkannter Wissenschaftler. Vertrauen war auch ein zentraler Baustein des Social Network, das Airbus vor wenigen Jahren für seine Mitarbeiter eingerichtet hat: Die Community sollte sich selbst managen, sie wird vom Unternehmen begleitet, aber nicht gesteuert. Nur so gelingt es, die 60.000 Mitarbeiter der Airbus-Kerngesellschaft zu einem Netzwerk zu verknüpfen, in dem offen und wertschätzend kommuniziert wird – und viele Ideen zum Nutzen des Unternehmens entstehen. Die Community lebt und wächst – ein Erfolg für Airbus. In wenigen Tagen wird das Social Network auf die ganze Airbus Gruppe mit weltweit 120.000 Mitarbeitern ausgerollt.