Die Praxis studieren: mit den LeadershipGarage Field Studies

„Die LeadershipGarage Field Studies bieten ein Lehr- und Lernformat, das es den Teilnehmenden ermöglicht, mit Führungskräften und Unternehmen in Austausch zu treten. Dabei liegt der Fokus auf der Thematik ‚Die Zukunft der Führung – die Führung der Zukunft‘. Die Studierenden erhalten Einblicke in aktuelle Führungsperspektiven und reflektieren zukünftige Herausforderungen. Sie bearbeiten praktische Fragestellungen auf wissenschaftlicher Basis, wodurch sowohl wissenschaftliches Denken als auch anwendungsbezogene Fähigkeiten gefördert werden.“
— Prof. Dr. Sabine Remdisch, Leiterin der LeadershipGarage

Damit bietet die LeadershipGarage Studierenden ein einzigartiges Angebot: Das Format bringt sie mit Praxispartner*innen des Projekts LeadershipGarage zusammen und ermöglicht es ihnen, bereits früh in ihrem Studium konkrete Führungsthemen und -anforderungen zu erkunden. Dabei geht es nicht nur darum, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verstehen und zu reflektieren, sondern auch darum, sie für die Praxis implementierbar zu machen.

Studenten treffen auf Praktiker: Die LeadersipGarage Field Studies. Foto: Hannah Vergossen

Praxispartner in diesem Wintersemester war der Verband Wohneigentum Niedersachsen e. V. Was genau es mit diesem Verband auf sich hat und welche Herausforderungen er an die Studierenden herangetragen hat, darüber sprachen wir mit Tibor Herczeg, der die Organisation seit mittlerweile 17 Jahren erfolgreich führt.

Lieber Herr Herczeg, was genau ist der Verband Wohneigentum Niedersachsen e. V. und was konkret macht er?

Der Verband Wohneigentum Niedersachsen e. V. ist eine Gemeinschaft von selbstnutzenden Wohneigentümer*innen mit über 80 Jahren Erfahrung als Interessenvertretung, Verbraucherschützer und Dienstleister. Ursprünglich gegründet, um Wohnraum für Vertriebene zu schaffen, hat er heute Schwerpunkte wie bezahlbares Wohnen, Förderung von Eigentum und Unterstützung der Mitglieder bei Themen rund ums Wohneigentum.

Dazu bietet er vielfältige Beratungen an, z. B. in Rechts-, Bau-, Energie- und Steuerfragen, und begleitet die Mitglieder über den gesamten Lebenszyklus ihrer Immobilie. Politisches Lobbying ist ebenfalls zentral: Der Verband bringt sich in Gesetzgebungsprozesse ein und kooperiert mit Organisationen wie dem Bund der Steuerzahler.

Der Verband ist in der Fläche stark vertreten und arbeitet mit knapp 350 Ortsvereinen, einigen festangestellten Mitarbeitenden und rund 2.000 Ehrenamtlichen zusammen. Diese Struktur bringt besondere Herausforderungen mit sich, insbesondere im Bereich der Führung und Motivation der Ehrenamtlichen. Ein zentrales Anliegen ist es, Ehrenamtliche nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig zu binden und sie in ihrer Tätigkeit zu unterstützen – etwa durch Automatisierung und Digitalisierung von Verwaltungsprozessen.

Wie ist das Verhältnis von Festangestellten zu Ehrenamtlichen in Ihrem Verband?

Unser Verband besteht aus einem kleinen Team von sieben festangestellten Beschäftigten in der Geschäftsstelle, während die Ehrenamtliche in den Ortsvereinen aktiv sind. Dieses Verhältnis zeigt bereits die zentrale Rolle des Ehrenamts in unserer Organisation. Eine unserer Hauptaufgaben besteht darin, den Ehrenamtlichen als Servicestelle zur Seite zu stehen. Das betrifft nicht nur klassische Themen wie Vereinsrecht oder Prozessoptimierung, sondern auch die Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben, die durch gesetzliche Vorgaben oft komplex und zeitaufwendig sind.

Durch unsere Transformationsprozesse, insbesondere in Richtung Automatisierung und Digitalisierung, versuchen wir, den Ehrenamtlichen die administrativen Lasten abzunehmen. Ziel ist es, ihnen Freiräume für die eigentliche Vereinsarbeit zu schaffen, die vor Ort Freude macht und neue Ideen ermöglicht. Ehrenamt sollte Spaß machen und nicht durch bürokratische Hürden erschwert werden. Dieser Ansatz ist für uns essenziell, um die Motivation und den langfristigen Einsatz unserer Ehrenamtlichen zu fördern.

Was sind die Motive der Ehrenamtlichen, die bei Ihnen tätig werden?

Ehrenamtliche opfern das Wertvollste, was sie haben: ihre Zeit. Diese Entscheidung trifft man nur, wenn man sich mit dem Sinn und Zweck einer Organisation stark identifiziert. Unsere Ehrenamtlichen setzen sich ein, weil sie an den Mehrwert und die Mission unseres Verbandes glauben. Allerdings steht das Ehrenamt heute vor neuen Herausforderungen. Früher war das Engagement oft langfristig angelegt; inzwischen beobachten wir jedoch zunehmend ein projektbezogenes, zeitlich begrenztes Engagement.

Diese Entwicklung verlangt von uns ein Umdenken. Die ältere Generation, die oft noch in traditionellen Vereinsstrukturen denkt, muss verstehen, dass auch kurzfristiges Engagement wertvoll ist. Gleichzeitig müssen wir Wege finden, junge Menschen für uns zu gewinnen, indem wir ihnen Flexibilität und Sinnhaftigkeit bieten. Hier ist Kommunikation entscheidend: Unsere Ehrenamtlichen vor Ort sind unsere wichtigsten Botschafter. Sie transportieren unsere Werte und Ziele in die Gemeinschaft und motivieren andere, sich ebenfalls einzubringen.

Wie sieht der bereits erwähnte Transformationsprozess in ihrer Organisation aus?

Unser Transformationsprozess begann vor etwa drei Jahren mit der Entscheidung, den Verband zu digitalisieren. Uns war von Anfang an klar, dass Digitalisierung nicht nur technische Anpassungen bedeutet, sondern einen tiefgreifenden strategischen Wandel. Daher haben wir gemeinsam mit einem externen Partner und unter Einbeziehung unserer Stakeholder eine digitale Strategie entwickelt. Dieser Prozess war bewusst transparent und iterativ gestaltet, um die Bedürfnisse unserer Ehrenamtlichen und Mitglieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Ein zentraler Baustein war die Ausbildung von Digitalbotschafterinnen aus den Reihen der Ehrenamtlichen. Diese agieren als Mittlerinnen zwischen Geschäftsstelle und Basis und tragen die Digitalisierungsideen in die Ortsvereine. Unsere digitale Strategie umfasst klare Ziele, Zeitpläne und Projektstrecken, wobei wir flexibel auf Ressourcen und Rückmeldungen reagieren. Agiles Projektmanagement ist dabei ein Schlüssel, der uns ermöglicht, schnell erste Ergebnisse zu erzielen und gleichzeitig kontinuierlich zu verbessern.

Unser Ziel ist es, durch digitale Prozesse Freiräume zu schaffen, sowohl für die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle als auch für die Ehrenamtlichen vor Ort. Der Erfolg zeigt sich bereits: Viele wichtige Projekte konnten wir schneller als erwartet umsetzen.

Wie lässt sich Ihre Rolle in Ihrem Verband umschreiben?

Als Geschäftsführer des Verbandes leite ich die Geschäftsstelle und bin hauptamtlich für die strategische Ausrichtung und das Lobbying verantwortlich. Gemeinsam mit dem Vorstand setze ich mich für die politischen und gesellschaftlichen Interessen unserer Mitglieder ein. Zusätzlich bin ich als Jurist in die Rechtsberatung eingebunden und halte regelmäßig Vorträge zu Themen, die unsere Mitglieder bewegen.

Ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit ist die Kommunikation – sowohl intern mit den Ehrenamtlichen als auch extern mit unseren Partner*innen und Mitgliedern. Das ist immer sehr wichtig: Tue Gutes und erzähle darüber. Ich sehe es als meine Aufgabe an, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich alle Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen entfalten können. Führung bedeutet für mich, Verantwortung zu übertragen und Vertrauen zu schaffen. Dieser Ansatz fördert nicht nur die Motivation, sondern stärkt auch die Eigenverantwortung und das Engagement im Team.

Wie liefen die Fallstudien für Sie ab?

Die Zusammenarbeit mit den Studierenden verlief überraschend positiv. Obwohl anfangs eine gewisse Skepsis seitens der Ehrenamtlichen bestand, wandelte sich diese schnell in Offenheit und Begeisterung. Im Rahmen der Interviews hat man sehr schnell gemerkt, dass dieses Projekt auch den Ehrenamtlichen Spaß gemacht hat. Die Fragen der Studierenden waren sehr intelligent und sie haben den Ehrenamtlichen die Angst genommen. Es war auch wirklich eine Generationsfrage – da waren ja teilweise zwei Generationen zwischen Studierenden und Ehrenamtlichen. Es war sehr spannend zu sehen, wie gut diese Interaktionen stattgefunden haben.

Mit welchen Erwartungen blicken Sie den Ergebnissen entgegen?

Ich erhoffe mir aus den Ergebnissen neue Erkenntnisse, insbesondere im Umgang mit Ehrenamtlichen – vor allem aus der älteren Generation. Ein zentrales Anliegen ist es, herauszufinden, wie hier ein Mindset Shift gefördert werden kann, um Berührungsängste gegenüber Veränderungen abzubauen. Gleichzeitig interessiert mich, wie ich in meiner Führungsrolle diese Ehrenamtlichen besser mitnehmen kann. Wichtig ist dabei, ihre Bedürfnisse zu verstehen: Was wünschen sie sich? Wovor haben sie möglicherweise Angst? Welche zusätzliche Unterstützung benötigen sie? Und vor allem: Wie muss ein Umfeld gestaltet sein, das ihnen Sicherheit und Wohlbefinden bietet? Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit mit Freude und Motivation ausüben können.

Was glauben Sie persönlich, welche Führungskompetenzen in Zukunft wichtig sein werden?

Ich bin fest davon überzeugt, dass Führung in Zukunft anders gestaltet werden muss. Entscheidungen können nicht mehr einfach von oben durchgedrückt werden. Vielmehr geht es darum, die Mitarbeitenden mitzunehmen und ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich entfalten können. Zuhören ist dabei eine essenzielle Fähigkeit, die eine Führungskraft mitbringen muss. Leider verkennen viele Führungskräfte diese Punkte und betreiben stattdessen Mikromanagement. Für mich ist es essenziell, Verantwortung abzugeben, sodass die Mitarbeitenden eigenständig handeln können und sich wertgeschätzt und ernst genommen fühlen. Ich vertraue darauf, dass sie genauso verantwortungsvoll agieren, wie sie es auch in ihrem privaten Leben tun, sei es in der Familie oder in anderen Bereichen. Fehler passieren natürlich, aber die Mitarbeitenden stehen dafür ein, weil sie sich mit ihrer Aufgabe identifizieren und wertgeschätzt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Gute Führung bedeutet, ein Umfeld zu schaffen, das Sicherheit bietet, Verantwortung überträgt und so die Mitarbeitenden – egal ob haupt- oder ehrenamtlich – in die Lage versetzt, ihr volles Potenzial zu entfalten. Gute Führung ist dabei das A und O.

Lieber Tibor Herczeg, vielen Dank für diese spannenden Einblicke und Ihre inspirierende Teilnahme an den LeadershipGarage Field Studies!

 

Hannah VergossenHannah Vergossen
Institut für Performance Management

Digitaler Fingerabdruck:
„Try out and fail fast“ – Unternehmen brauchen agile Prozesse und eine ausgeprägte Fehlerkultur um im Wettbewerb bestehen zu können.

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