In unserer Interviewreihe rund um das Thema Hybrid Work sprechen wir immer wieder mit führenden Köpfen aus Unternehmen und Organisationen. Nun stand uns Jürgen van Zwoll Rede und Antwort. Er ist Partner der Personalberatungsgesellschaft Odgers Berndtson. Für die Mandate, die er dort betreut, besetzt er vor allem Positionen der oberen Führungsebenen bei nationalen und internationalen Suchaufträgen.
Herr van Zwoll, von wo aus arbeiten Sie heute?
Seit uns Corona im Griff hat, arbeiten wir in einer erheblichen Intensität hybrid. In der
Peak-Phase von Corona waren es etwa 90 Prozent, die wir im Homeoffice verbracht haben. Das gilt nicht nur für mich, sondern auch für meine Kolleginnen und Kollegen. Im Zuge der Normalisierung hat sich das jetzt ein bisschen entspannt. Heute ist die Büropräsenz bei einer Beratungsgesellschaft, wie wir es sind, bei etwa 20 Prozent. Wir möchten das gerne weiter erhöhen, weil wir merken – auch bei unseren Kunden –, dass das Digitale das Analoge überhaupt nicht ersetzen kann. Das Digitale ergänzt, es macht manches technisch leichter und effizienter. Aber es gibt eine zunehmende Sehnsucht nach analogem Wiedersehen.
Welche Veränderungen und Herausforderungen gibt es für Sie als Führungskraft, welche für die Mitarbeitenden?
Sie müssen beim digitalen Arbeiten noch mehr verbalisieren, weil die passiven, die physischen Signale fehlen und nicht so gelesen werden können wie im Analogen. Daher muss man stärker auf die Softfacts eingehen. Ich beginne heute jedes Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen mit der Frage: Wie geht es dir, wie war dein letzter Tag? Und das meine ich auch so. Das Herstellen einer persönlichen Beziehung am Anfang einer Kommunikation im digitalen Umfeld ist ganz wichtig, um den anderen erst einmal etwas zu entspannen. Wenn Sie nur effizienzgetrieben Ihre Zeit durchpowern besteht die Gefahr, dass Sie die Menschen verlieren. Ich denke, dass es hier gilt, eine gute Balance zu finden zwischen der Effizienz, die die digitalen Tools bieten, und der menschlichen Konnektivität.
Welche Kompetenz braucht die Führungskraft in einer heutigen hybriden Arbeitswelt?
Sie braucht ein Gefühl für die Disposition des Gegenübers. Die Herausforderung wird sein, den anderen so abzuholen, dass man merkt, ob er oder sie gerade in einer Stresssituation ist. Das ist es ja, was das berufliche Leben häufig ausmacht: Stressoren, die die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen davon abhalten, so effizient oder so kooperativ zusammenzuarbeiten, wie es sein müsste. Da ist es wichtig, eine Kommunikation zu entwickeln, um das hinzubekommen. Eine lustige Runde am Abend ist dafür nicht ausreichend. Es ist wichtig, dass man gezielt auf die Menschen eingeht und noch genauer die nonverbalen Signale beobachtet. Und das kann nicht jeder. Es braucht empathische Führung. Und wenn Sie gut digital arbeiten wollen, müssen Sie eigentlich noch empathischer sein.
Unter welchen Bedingungen ist Ihrer Meinung nach hybrides Arbeiten erfolgreich?
Wenn es eine gute Mischung zwischen Hybrid und Analog gibt. Und wenn es Milestones gibt, dass man sich rechtzeitig genug verabredet, wenn man sich analog wiedersieht. So trivial das klingt, aber wir haben das jetzt gemacht. Wir haben mit Vorlauf von sechs, sieben Wochen gesagt: Dann und dann gibt es wieder Meetings in Frankfurt, das weißt du jetzt rechtzeitig genug, bitte organisiere dich, dass du da bist. Und das wird auch erwartet. Da gibt es Präsenzpflicht. Das darf nicht laissez -faire sein. Es gilt im Übrigen auch nicht nur für die professionellen Meetings, sondern auch für die Social Events.
Wie können Führungskräfte die soziale Isolation, die Mitarbeitenden im Homeoffice schnell droht, verhindern?
Indem man sich auch außerhalb der Muster mal kurz meldet. Ich habe mir angewöhnt, immer mal wieder ganz kurz durchzurufen, um kurz mal zu abzugleichen, wo wir in unseren Projekten stehen oder zu erfragen, wie es bei dem Anderen läuft: Geht’s dir gut? Ist alles okay? Klingt vielleicht albern, aber bringt was. Immer wieder dem anderen zeigen, dass ich mich wirklich interessiere. Es kommt darauf an, einen Kanal anzubieten, durch den Mitarbeitende äußern können, wenn etwas brennt. Außerdem verabreden wir uns unter den Kollegen wieder mehr analog. So z. B. bei uns in der Firma zum Mittagessen. Ein Beispiel ist, dass ich ab und an, wenn ich in Frankfurt bin, mit meiner Assistentin und nicht nur mit meinen Partnerkollegen zu Mittag esse. Es geht immer auch um das Menschliche hinter allem.
Wie schaffen Sie innerhalb dieser hybriden Strukturen die Transparenz, zu wissen, wer sich gerade wo befindet?
Wir haben da Tools, zum Beispiel ein Koordinations-Tool. Sie können sich bei uns einloggen und dann auch sehen, wer gerade da ist und wer nicht. Das bedingt natürlich unsere spezielle Arbeit. In anderen Unternehmen und anderen Prozessen ist das vielleicht auch enger gegeben. Dort gibt es dann noch mehr die Herausforderung, dass die Führungskraft eine starke Moderationsrolle hat und im Prozessmanagement eine stärkere analoge Präsenz von ihr gewünscht ist. Das setzt in solchen Kulturen die Führungskräfte stärker unter Präsenzdruck. Gegebenenfalls muss man immer wieder Sonderregelungen treffen, denn selten laufen Projekte ja wie geplant. Da gibt es keinen Königsweg.
Ist in digitalen Strukturen Innovationsentwicklung möglich?
Im digitalen Austausch wirklich innovativ zu sein, das ist schwierig. In dieser Art der Kommunikation verliert man die Menschen schnell. Wenn es um wirklich intensive kreative Prozesse geht, ist es wichtig, dass die Mehrheit im Raum ist. Man kann digital vorbereiten, zum Beispiel etwas zuschicken. Aber etwas fundamental Neues entwickeln, ein neues Vertriebskonzept oder den Eintritt in neue Märkte diskutieren – das ist digital nicht so effizient, weil die Zwischentöne fehlen. Analog kommt mal ein Einwurf von rechts, dann kommt ein Einwurf von links. Das machen Sie nicht, wenn Sie digital sind. Digital fällt man sich nicht ins Wort. Wir haben gerade ein Training gemacht, mit Flipcharts und Post-Its. Da saßen plötzlich wieder 17, 18 Leute im selben Raum und haben interagiert. Das macht was mit Ihnen. Ich glaube, wir Menschen bleiben analoge Wesen. Es ist ja auch nicht jeder vor der Kamera gleich. Nicht jeder hat die Kraft, die Energie sich in so einem Medium zu präsentieren. Sie schneiden im Digitalen viele softe Elemente ab. Und das ist gefährlich.
Wie lässt sich Gesundheit am Arbeitsplatz in hybriden Strukturen unterstützen?
Es gibt manche, die mittags wirklich eine Stunde Sport machen. Und andere versumpfen. Das ist ganz sicher auch ein Führungsthema: den Mitarbeitern sozusagen digitale Etikette beizubringen und sie auch dazu zu ermutigen, bestimmte Dinge zu tun oder nicht zu tun. Manche Mitarbeitenden denken auch, dass sie, wenn sie von zu Hause aus arbeiten, eigentlich nicht richtig arbeiten, weil sie zu Hause sind. Das ist so eine traditionelle Programmierung. Da muss man als Führungskraft immer wieder mal fragen: Wie fühlst du dich? Was läuft gut, was nicht läuft nicht gut? Brauchst du Support? Führungskräfte müssen hier Impulse, Anregungen, Guidelines geben, und zwar bevor die Dinge in den Brunnen gefallen oder Dinge festgeschliffen sind. Jeder Mensch hat eine andere Persönlichkeitsstruktur, ein anderes Haltungssystem und andere intrinsische Faktoren, die ihn oder sie motivieren. Andererseits fehlt alles, was sie erleben, wenn sie in der Firma sind: das Energielevel, Lachen auf dem Flur, eine Tür, die zufliegt oder ein Kopierer, der rattert. Es fehlt dieses energetische Summen, das ist zu Hause nicht vorhanden. Aber gerade dieser Sound of work hat einen Mitnahmeeffekt, und den müssen Sie versuchen digital konstruktiv zu stimulieren. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt, und das ist auch nicht jedem gegeben.
Vielen Dank, Jürgen van Zwoll, für diese transparenten, spannenden Einblicke in Ihre Führungsstrategien und Erfahrungen in hybriden Strukturen!
Hannah Vergossen
Digitaler Fingerabdruck:
„Try out and fail fast“ – Unternehmen brauchen agile Prozesse und eine ausgeprägte Fehlerkultur um im Wettbewerb bestehen zu können.