Zweimal drei macht vier oder: Besuch der AWE 2017

Die diesjährige Augmented World Expo (AWE) in den USA zeigte, was uns die Zukunft bringen wird – ganz real und ganz fiktiv. Mitte Oktober 2017 kommt das Event auch nach Deutschland.

Mit 4700 Teilnehmenden, 351 Speakern, 212 Ausstellern und einer Ausstellungsfläche von über 1800 Quadratmetern in einer Halle von mehr als 9000 Quadratmetern ist die diesjährige AWE die bislang größte ihrer Art. Und schon das Motto dieser gigantischen Veranstaltung, auf der die neuesten Technologien von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) vorgestellt werden, macht das Potenzial, das diesen Technologien zugeschrieben wird, deutlich: „Superpowers to Change the World“.

Superhelden sind auch das Design-Thema auf der AWE (Foto: S. Remdisch)

Veranstaltungsort ist das Convention Center in Santa Clara, mitten im Silicon Valley. Drei Tage lang kommt hier die Fachcommunity aus aller Welt zusammen – und die ist, wie sogleich beim Eintreffen deutlich wird, überwiegend männlich.

Neben den vielen Vortragsslots ist vor allem der „Playground“ interessant, eine riesige Halle, in der man das Neueste anschauen, ausprobieren und alle möglichen Sorten von VR- und AR-Brillen aufsetzen kann. Beeindruckend auch die Installation an einem gedeckten Tisch: Bevor das „echte“ Essen serviert wird, werden auf die Teller schon einmal kleine Clips und Grüße des Kochs projiziert.

Aus dem überbordenden Angebot hat mich eine Session ganz besonders interessiert: Hier sprach Tom Emrich zum Thema „Black Mirror – White Mirror: A look at our Dystopic and Utopic AR Future“. Dass AR und VR die Welt verändern werden, steht für ihn dabei außer Frage. Völlig offen sei jedoch noch, ob sie sich zum Bessern oder zum Nachteil verändern wird, ob wir also auf ein Utopia oder ein Dystopia zusteuern. Was macht die neue Technologie mit uns Menschen – und was machen wir mit ihr?

Die Welt, wie sie uns gefällt

Für Tom Emrich gehören Technik und Mensch zusammen. Wir wären heute nicht das, was wir sind, hätten wir uns die Vorteile der Technik nicht zunutze gemacht. Doch immer wieder müssten wir uns die Frage stellen: Nutzen wir die Technik zu unserem Vor- oder Nachteil, für „bad action“ oder für „good action“? Und er führt aus, wie AR und VR uns wirklich zu einer besseren Gesellschaft verhelfen und ein neues Level der Empathie und Perspektivübernahme ermöglichen können.

So kann ich mittels dieser Technologien beispielsweise förmlich in eine andere Person hineinschlüpfen, die Welt mit ihren Augen sehen; Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Alter – all diese Variablen kann ich mit VR verändern und dadurch erlebbar machen. Ich könnte auf diesem Wege etwa ein Flüchtlingscamp in Syrien konkret und von innen heraus erleben. Das hilft Menschen, sich besser zu verstehen, fördert die Empathie und damit die Völkerverständigung.

VR als „empathy machine“, als eine Superpower, mit der wir auf einmal Dinge tun können, die uns als normale Menschen eigentlich unmöglich sind. Neurowissenschaftler haben bereits eine Sensorweste entwickelt, die Stimme in eine Feedback-Möglichkeit übersetzt, sodass ein Mensch, der taub ist, nun verstehen kann. Diese „super human capabilities“ – schneller laufen, besser sehen, wieder hören usw. – sind bislang noch stark auf Menschen mit Handicaps fokussiert; bald jedoch werden wir alle diese Superkräfte haben wollen. Und es wird vermutlich lediglich eine Frage des Geldes sein, diese Wünsche auch in die Tat umzusetzen.

 

(Foto: S. Remdisch)

Neue Fähigkeiten erlernen, erwünschte Situationen simulieren – hier liegt der Schlüssel künftiger Generationen. Dazu gehören auch die potenziellen sozialen Features: So können sich etwa getrennt lebende Paare künftig ganz nah sein, indem sie sich in einem virtuellen Raum treffen, der ein Beisammensein trotz größter räumlicher Distanzen ermöglicht.

Und es müssen auch gar nicht immer die Ausnahmesituationen sein, in denen VR und AR ihren Einsatz finden. Auch unseren ganz realen Alltag könnten sie ganz einfach einfacher machen. Es regnet und Sie mögen keinen Regen? Dann ziehen Sie Ihre Brille auf und machen sich Sonnenschein. Ihnen gefällt die weiße Wand in Ihrem Büro nicht mehr? Eine Brille macht sie auf Knopfdruck grün. Oder stellen Sie sich vor, Sie treffen jemanden, der Ihnen bekannt vorkommt, wissen aber nicht mehr, woher – „smart glasses“, ausgestattet mit AR-Technologie, frischen Ihre Erinnerung qua Gesichtserkennung auf. Oder Sie möchten wissen, wir Ihr Gegenüber sich gerade fühlt? Kleine Sensoren an unserem Sweatshirt zeigen es uns an. So kann ich wahrnehmen, wie meine Äußerungen beim anderen ankommen, ob sie ihn aufregen oder verärgern, und mein Verhalten sensibler anpassen. Und wenn mir sogar meine eigene Gefühlswelt in bestimmten Situationen „angezeigt“ wird, kann das meiner ganz persönlichen Entwicklung zuträglich sein.

Gemeinsam oder gemeinsam einsam

Obwohl wir über VR und AR neuen Situationen und anderen Menschen sehr viel näherkommen, uns in einem virtuellen Raum sogar ganz nah sein können, so kann aber die Technik auch dazu führen, dass wir immer mehr vereinsamen; mehr als wir es jemals waren.

Wie sind schon heute in einer halb realen und halb virtuellen Welt unterwegs. Wie wird es weitergehen? Dürfen wir begeistert sein, müssen wir besorgt sein? Das ist die spannungsreiche Frage, die ich aus dieser Konferenz mitnehmen. Und es ist ganz sicher auch eine Frage der Betrachtungsweise: Wie definieren wir beispielsweise „menschliche Interaktion“ und zwischenmenschlichen Beziehungen? Als Psychologin hoffe ich, dass es auch in der Zukunft noch die ganz normale, die direkte menschliche Begegnung geben wird. Diese wird durch neue Möglichkeiten der VR- und AR-Technologien ergänzt. Also jede Menge mehr Interaktion – und ich wünsche sie mir vielfältig und chancenreich, auf mehreren Ebenen.

Die AWE Europe findet am 19. und 20. Oktober 2017 in München statt.

Prof. Dr. Sabine RemdischProf. Dr. Sabine Remdisch
Leiterin des Instituts für Performance Managements der Leuphana Universität Lüneburg und Gastwissenschaftlerin an der Universität Stanford.

Digitaler Fingerabdruck:
„Die Führungskraft auf Distanz wird weniger als Entscheidungsträger gebraucht, stattdessen müssen ihre Hauptfähigkeiten im Beziehungsmanagement liegen.“

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