Einmal Silicon Valley und zurück

Leuphana Universität Lüneburg und internationale Unternehmen erkunden gemeinsam die digitale Welt. Sparringspartner ist die Stanford University.

Das Forschungsprojekt „Leadership and Network Competence in a Digital World“ sucht Lösungen für die Führungskultur in einer vernetzten, digitalen Arbeitswelt. Ein Gespräch mit Professorin Sabine Remdisch, die das Institut für Performance Management an der Leuphana leitet und derzeit als Gastwissenschaftlerin an der Stanford University arbeitet.

Prof. Dr. Sabine Remdisch

Frau Remdisch, im Silicon Valley kann man heute die Welt von morgen erleben, heißt es. Was hat Sie besonders beeindruckt?

Sabine Remdisch: Beispielsweise dass ich mich eine halbe Stunde lang prima mit einem Roboter unterhalten kann. Es gibt seit kurzem mobile Audio/Video-Systeme am Markt, die die Kommunikation auf Distanz erleichtern sollen. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Computer und Ihr Bild und Ihre Stimme werden von einem fahrbaren Roboter, den Sie fernsteuern, in ein Meeting irgendwo auf der Welt übertragen. Der Roboter fährt selbstständig in den Konferenzraum, wendet sich wie ein echter Gesprächspartner seinem Gegenüber zu, und wenn das Meeting vorbei ist, schaut er noch im Büro eines Kollegen vorbei, mit dem Sie ein Projekt besprechen wollen. Ich war in Palo Alto in einem Store des Herstellers. Dort werden Sie ausschließlich von diesen Geräten bedient. Der Verkäufer, mit dem ich gesprochen habe, saß vielleicht in Boston oder New York, aber er war für mich als Person so präsent, als stünde er mir in Fleisch und Blut gegenüber.

Ist das wirklich eine nützliche Innovation oder nur ein Gag?

Ich habe den Verkäufer gefragt, was er von mir sieht, und er sagte, er sähe Gesicht, Hände und Füße. Dies sind offenbar die entscheidenden Perspektiven oder Signalebenen für erfolgreiche Kommunikation. Dazu hat der Hersteller umfangreiche Tests durchgeführt. Ich glaube schon, dass es einen Unterschied macht, ob Sie bloß per Telefon in eine Konferenz zugeschaltet werden oder ob Sie mit am Tisch, quasi auf Augenhöhe dabei sitzen – auch wenn Ihr Gesicht nur auf einem mobilen Bildschirm erscheint.

Welche Eindrücke haben Sie noch im Silicon Valley gewonnen?

Die digitale Welt ist dort bereits Alltag. Ich saß im Taxi und vor uns fuhr ein Driverless Car von Google. Das Silicon Valley zu besuchen lohnt sich unbedingt, das ist eine Reise in die Zukunft. Sie begegnen Innovation in Reinkultur. Silicon Valley heisst Gründergeist, Offenheit für Neues. Wer eine gute Idee hat, probiert einfach, eine Firma zu gründen. Scheitern ist keine Schande, sondern eine Lernchance – man versucht es dann halt noch einmal.

Kommunikation über Distanz mit Präsenzrobotern
Kommunikation über Distanz mit Präsenzrobotern

Schauen wir über die Technik hinaus – was bewirkt sie, wie verändert sie unser Leben und Arbeiten?

Die Digitalisierung ermöglicht es mir, alle Experten der Welt zu vernetzen. Ich kann auf fast unbegrenzte Ressourcen zugreifen und ich kann rund um die Uhr arbeiten. Arbeitszeiten und -orte spielen kaum noch eine Rolle. Jeder Prozessschritt wird dokumentiert, was mehr Verbindlichkeit und Transparenz bedeutet. Wir beobachten eine breitere Teilhabe an Wissen, eine Demokratisierung des Wissens. Wenn ich in einer Vorlesung eine falsche Quelle zitiere, meldet sich fünf Minuten später ein Student, der mal schnell die richtige Quelle auf seinem Smartphone gegoogelt hat. Das macht auch vielen Unternehmensberatern Angst: Warum sollen ihre Kunden hohe Honorare für etwas zahlen, was sie sich im Internet selbst anlesen können? Die Machtstrukturen verschieben sich aber auch in eine andere Richtung, wie die Diskussion um Daten- und Persönlichkeitsschutz zeigt. Viele Menschen fürchten sich vor Datenkraken wie Google. Denn wer die Daten hat, hat die Macht in der digitalen Welt.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Rolle von Führung in Unternehmen?

Digitale Arbeitsstrukturen erfordern keine physische Nähe zwischen Führungskräften und Beschäftigten. Führen auf Distanz wird wichtig. Dies verlangt dem Management neue Kompetenzen ab, sie müssen neue Wege zur Verbesserung von Kommunikation, Motivation und Leistung erschließen. Es gilt, die Transformation in den Köpfen und in der Realität voranzutreiben. Daraus ergibt sich eine neue Rolle von Führung. Dreh- und Angelpunkt ist das Vertrauen. Wenn die physische Nähe fehlt, fehlt auch ein wesentlicher Nährboden, auf dem Vertrauen wachsen kann.

Auf Distanz Vertrauen aufzubauen, ist also schwierig …

Es ist auf jeden Fall ein Problem. Vertrauen setzt Verständnis voraus und um Verständnis zu entwickeln, benötigen Menschen Zeit und Raum, sich gegenseitig einzuschätzen. Das dauert auf Distanz länger. Um Mitarbeiter an entfernten Standorten einzubinden, müssen Führungskräfte beispielsweise feste Kommunikationszeiten einrichten. Sie müssen auch anders kommunizieren – nicht bloß faktenorientiert Projektziele und Arbeitsanweisungen herunterrattern, sondern auch mal „persönlich“ werden. Es hilft schon, wenn ich dem Mitarbeiter in Indien am Telefon erzähle, wie das Wetter hier ist, zu wem die Stimmen im Hintergrund gehören oder welches Bild an der Wand meines Büros hängt. Solche Details machen mich als Person greifbar und sind Ansatzpunkte für meinen Gesprächspartner, mich einzuschätzen. Dabei entsteht Verständnis und das ist der erste Schritt zu Vertrauen.

Ihr Projekt „Leadership and Network Competence in a Digital World“ untersucht, wie Führung auf Distanz gelingen kann. Welche weiteren Ziele verfolgen Sie?

Wir wollen herausfinden, welche Rahmenbedingungen und Tools insgesamt erforderlich sind, damit Führungskräfte sich erfolgreich in der digitalen Welt bewegen können. Dies schließt die Bereiche Führen, Zusammenarbeiten und Lernen ein.

Wie gehen Sie konkret vor?

Ganz wichtig ist „Co-Creation“. Das heißt, dass wir Wissenschaftler gemeinsam mit und von unseren Projektpartnern aus der Wirtschaft lernen. Dafür haben wir einen „Innovation Circle“ gegründet. Mehrere Circle-Mitglieder sind im November 2014 zu einer „Learning Journey“ ins Silicon Valley geflogen, um verschiedene Institute der Stanford University und Unternehmen kennenzulernen. Die Atmosphäre in den Ideenlaboren der Stanford University ist elektrisierend. Wir haben uns mit methodischen Ansätzen wie „Design Thinking“ auseinander gesetzt. Das ist eine spannende Geschichte: Ein Unternehmen möchte ein neues Produkt entwickeln und steckt dazu seine Führungskräfte in eine Werkstatt, wo sie ganz handfest mit Materialien und Werkzeugen experimentieren. Alles ist erlaubt, keine Idee zu abwegig, auch Rückschläge sind Bewegung. Für uns Gäste aus Deutschland stand dabei immer die Frage im Vordergrund, welche dieser Prozesse und Methoden zu unserem Führungsalltag passen könnten. Bringt uns Design Thinking weiter? Ist der Video-Roboter geeignet, um das Werk in Süddeutschland besser an die Zentrale in Hamburg anzubinden?

Was muss der Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft heute leisten?

Unsere Zeit ist so schnelllebig geworden, dass Unternehmen nicht zwei Jahre warten wollen, bis ihnen die Hochschule Forschungsergebnisse mit Umsetzungsgarantie serviert. „Speed!“ ist der Weckruf, der Ihnen im Silicon Valley aus jedem Winkel entgegenschlägt. Unternehmen und Hochschulen arbeiten gemeinsam und gleichzeitig an Lösungen. Es entstehen Forschungs-Prototypen, die sofort in der Praxis angewandt und dynamisch weiterentwickelt werden. Da ist nicht jeder Ansatz sofort hieb- und stichfest, aber alle Beteiligten gewinnen durch dieses „Rapid Prototyping“ Zeit.

Ein Kommentar

  1. Kirsten Dehmer
    ·

    DANKE für dieses wunderbare Interview!

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