Der Chemiker Nils Bohr soll einmal gesagt haben „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“. Das gilt vor allem dann, wenn der Wandel zu rasen beginnt. Als der technische Fortschritt noch im gemächlichen Trab daherkam, dauerte es Jahrzehnte, bis zum Beispiel Telefone Tasten bekamen (Wir hielten das für eine Innovation). Die Zukunftsforscher konnten damals auch noch einigermaßen treffsichere Prognosen stellen (ein Telefon blieb eben ein Telefon). Durch die Digitalisierung wird das allerdings immer schwieriger, denn der technische Wandel hat ordentlich Fahrt aufgenommen. Und nicht nur das Telefon dringt immer tiefer in alle Bereiche unseres Lebens ein.
Die Wandlungsgeschwindigkeit wird voraussichtlich exponentiell weiter steigen und neben den Bits und Bytes werden auch Neuerungen aus folgenden Entwicklungsfeldern unser Leben nachhaltig verändern:
- Nanotechnologie
- Künstliche Intelligenz
- Sensortechnik
- Digitale Medizin
- Synthetische Biologie
- 3 D-Druck
- Crowd Community Tools
- Big Data Mining
- Demoneterisierung
Der Zukunftsforscher Raymond Kurzweil (Director of Engineering, Google) hat postuliert, dass Menschen und Maschinen immer enger zusammenrücken und dank der Nanotechnologie sogar zusammenwachsen werden. Viele der Visionen in Kurzweils Buch „Menschheit 2.0“ klingen wie Science-Fiction, doch es ist schon heute erkennbar, dass wir uns immer stärker von Maschinen leiten lassen. Wir nutzen unser Telefon heute zum Beispiel als Ernährungs- und Bewegungscoach, Schlaflabor, Blutdruckmessgerät, Pollen- oder Hautkrebswarndienst. Das war vor kurzem noch unserem Arzt vorbehalten.
Kurzweil hat zudem berechnet, dass die Rechenleistung der weltweit verfügbaren Bits und Bytes um das Jahr 2045 die der gesamten Menschheit übersteigen wird. Wohin das führt, werden wir nur vielleicht erleben. Schon heute können wir aber sehen, dass wir immer mehr menschliche Denkleistungen an Maschinen delegieren. Oder rechnen Sie noch im Kopf und navigieren mit der Landkarte? Ähnlich wie der Taschenrechner das Kopfrechnen in die Ecke der verzichtbaren Kompetenzen gewiesen hat, wird es auch anderen intellektuellen Leistungen des Menschen ergehen. So werden wahrscheinlich nur noch wenige Menschen ihre Fremdsprachenkenntnisse perfektionieren, wenn Mobiltelefone als Simultanübersetzer bereitstehen.
Es gibt Menschen, die lieben Zahlen, Landkarten und Vokabeln. Die sollten sich den Umgang damit keineswegs abgewöhnen. Doch wenn menschliche Rechen- und Speicherleistungen zunehmend von Maschinen ersetzt werden, wird ein Teil von dem, was wir heute für Intelligenz halten, seinen Marktwert verlieren. Dafür werden Phantasie, Kreativität, Empathie, Anpassungsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit an Wert dazugewinnen. Zum einen lassen sich solche Kompetenzen (heute jedenfalls noch) nicht durch Maschinen substituieren. Und sollte der Wandel keine Pause einlegen, werden sie sich zum anderen zu den Potentialen der Zukunft mausern. Wer mithalten will braucht schließlich ein gutes Vorstellungsvermögen, Offenheit, frische Ideen und ein Netzwerk mit Impulsgebern und Gleichgesinnten.
Wenn wir an die Ausbildung unserer Kinder denken, halten wir dennoch vor allem gute Leistungen in Mathematik, Deutsch oder Fremdsprachen für die besonders zukunftsträchtigen, während wir ihren kreativen Potentialen gerne den Rang als „Nice to have“ zuweisen. Das ist aus heutiger Sicht durchaus verständlich, denn bei den Einstellungsverfahren der meisten Unternehmen werden gute Noten in den sogenannten „Kernfächern“ immer noch besonders honoriert. Und weil der Umgang mit Zahlen nicht jedermanns Sache ist, dürfen wir den mathematisch Begabten wahrscheinlich auch in Zukunft gute Jobperspektiven prophezeien. Doch abgesehen davon, dass man heute auch viel Geld als Youtuber oder Modeblogger verdienen kann, werden Menschen mit ausgeprägten kreativen und sozialen Kompetenzen selbst für ganz normale Unternehmen immer wichtiger. Das größte Risiko, dem sie Zeiten des rasanten Wandels entgegensehen, ist nämlich das Festhalten an alten Produkten, Ideen und Weltanschauungen. Weinen Sie also nicht, wenn ihr Kind malt, musiziert, eine Fußballmannschaft trainiert oder die Welt am PC erkundet, während die Vorzeigekinder der Nachbarn Formeln und Vokabeln büffeln. Fleiß schadet wahrscheinlich nie, sich an der Vergangenheit zu orientieren schon.
Wie wäre es, wenn Unternehmen, die ihre Innovationskraft stärken wollen, ihre Auswahlverfahren entstauben und sie stärker auf die kreativen und sozialen Potentiale junger Menschen ausrichten? Dasselbe würde ich mir für den (Frontal-)Unterricht an deutschen (Hoch-)Schulen wünschen. Zwar gehört es zum Wesen kreativer Menschen, dass sie zuweilen den Status Quo stören, doch an Jobaspiranten, denen wir beigebracht haben, im Mainstream zu schwimmen, mangelt es der deutschen Wirtschaft wahrscheinlich seltener.
Dr. Annette Freitag
Digitaler Fingerabdruck:
„In der vernetzten Welt steigt der Wert von interkulturellen Kompetenzen.“