Sterne für den Chef im gläsernen Unternehmen

 

Empfinden Sie es auch schon als Ihre Pflicht, die Netzgemeinde darüber zu informieren, wie Ihnen die Pizza beim Italiener, die neue Mikrowelle  oder das letzte Urlaubsdomizil gefallen hat?  Wenn ja, danke ich Ihnen herzlich, denn Sie haben mich wahrscheinlich schon öfter vor Fehlkäufen, schlechtem Essen oder schmuddeligen Hotelzimmern bewahrt.

Die Möglichkeit Sterne für Dienstleitungen und Produkte zu vergeben, ist eine Form der Transparenz im Netz, die zur Entzauberung allzu blumiger Werbebotschaften und zur Verbesserung des Preis-Leistungsverhältnisses von Produkten und Dienstleistungen beiträgt.

Doch würden Sie ebenso bereitwillig Sterne für Ihren Chef vergeben?

Wie auch immer ihre Antwort ausfällt, Unternehmen und ihre Führungskräfte werden sich auch mit dieser Form des öffentlichen Feedbacks auseinandersetzen müssen. Plattformen wie XingStaufenbiel, Jobvote oder Companize fordern ihre Nutzer auf, die Führungs- und Unternehmenskultur ihrer Arbeitgeber/innen zu bewerten. Und gerade die gefragten, netzaffinen jungen Menschen nutzen die Ergebnisse immer öfter als Informationsquelle für Ihre Stellensuche. Da geht es um Dinge, die früher wohl eher zu den Unternehmensinterna gehörten, um Fragen des Miteinanders, die Bezahlung oder die Mitbestimmungs-, Aufstiegs- und Weiterbildungschancen.

Auch wenn Kritiker bemängeln, dass gekündigte oder enttäuschte Beschäftigte auf solchen Plattformen aufgefordert würden, einseitige Kritik am Arbeitgeber zu üben, werden sich die geposteten Kommentare wahrscheinlich dennoch zu einer wichtigen Entscheidungshilfe für gefragte Bewerberinnen und Bewerber entwickeln. Denn die meisten wissen längst, dass eine Schwalbe keinen Sommer macht und die geposteten Kritiken erst durch eine höhere Anzahl zu einer einigermaßen zuverlässigen Entscheidungshilfe werden.

Doch egal ob die Plattformen den Ansprüchen von wissenschaftlich fundierten, repräsentativen Studien genügen oder nicht, Unternehmen werden sich mit ihnen auseinandersetzen müssen. Die gute Nachricht dabei ist, dass hier nicht nur die Frustrierten zu Wort kommen, sondern auch die Zufriedenen. Durch positive Bewertungen können sich selbst weniger bekannte, kleinere und mittelständische Unternehmen kostenlos öffentlich in Szene setzen. Voraussetzung dafür ist, dass sie die neuen Fenster zu ihrem Innersten als Ansporn für eine positive Unternehmens- und Führungskultur verstehen. Wenn  zufriedene Beschäftigte Kommentare posten, ist das für die Rekrutierung von Personal vielleicht ebenso hilfreich wie ein bekannter Name, Werbeslogans, Flyer oder Imagekampagnen.

Dass in Sachen Unternehmenskultur und Führung bei vielen Unternehmen allerdings durchaus Entwicklungsspielräume bestehen, zeigt eine Studie der Haygroup, die in Deutschland 1.851 Führungskräfte und ihre Teams befragt hat. Danach sorgt fast jede zweite Führungskraft (48 Prozent) aus Mitarbeitersicht für ein schlechtes Arbeitsklima und nur jeder dritte Chef (37 Prozent) wirkt motivierend. Zu einem ähnlichen Bild kommt die Gallup Studie 2015. Sie hat gezeigt, dass 67 % aller Mitarbeiter in deutschen Unternehmen lediglich Dienst nach Vorschrift leisten und 17 % sogar innerlich gekündigt haben. Anders als in den anonymisierten Studien von Hay und Gallup werden solche Missstände in den Bewertungsplattformen sogar bis auf die Unternehmens-  und Abteilungsebene transparent. Dasselbe gilt aber auch für Erfolgsgeschichten.

Das gläserne Unternehmen ist Realität. Was die Welt aber zu sehen bekommt, liegt in den Händen der Führungskräfte.

Dr. Annette FreitagDr. Annette Freitag
Bildungsplanerin und Trainerin für Führungskräfte und Studierende der Bundesagentur für Arbeit

Digitaler Fingerabdruck:
„In der vernetzten Welt steigt der Wert von interkulturellen Kompetenzen.“